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Die fragwürdigen Geschäfte der Commerzbank

Von: Pia Dangelmayer, Wolfgang Kerler, Arne Meyer-Fünffinger, Ernst Eisenbichler, Michael Kubitza

Stand: 02.05.2016 | Archiv

Steuervermeidung bei der Commerzbank? | Bild: picture-alliance/dpa/Arne Dedert

Die teilstaatliche Commerzbank hat den Fiskus über Jahre hinweg durch fragwürdige Aktiengeschäfte um Steuereinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe gebracht. Das geht aus Dokumenten hervor, die dem Bayerischen Rundfunk (BR Recherche und ARD-Politmagazin report München) sowie dem New Yorker Recherchebüro ProPublica exklusiv vorliegen.

Transaktionsprotokolle, E-Mails, Marketing-Präsentationen, Chat-Verläufe und andere Gesprächsnotizen: Die Unterlagen aus der Finanzbranche, die der Bayerische Rundfunk und ProPublica gemeinsam mit der Washington Post und dem Handelsblatt ausgewertet haben, enthalten zahlreiche brisante Informationen. Es geht um tausende umstrittene Aktiendeals. Um zweifelhafte internationale Transaktionen, mit denen Millionen gemacht werden. Um Dividenden-Stripping. Um Steuervermeidung im großen Stil. Auffällig ist: Die Commerzbank taucht in diesen Dokumenten besonders häufig auf.

Ausgerechnet die Commerzbank. Deutschlands zweitgrößtes Geldinstitut, das sich in der Finanzkrise verzockt hatte und vom Steuerzahler mit 18,2 Milliarden Euro gerettet wurde. Seitdem ist der Bund größter Aktionär und sendet zwei Vertreter in den Aufsichtsrat.

Auch viele andere namhafte Banken finden sich in den Unterlagen: die SEB, Barclays, JPMorgan, Goldman Sachs, UBS, Morgan Stanley, Citigroup und Deutsche Bank. Insgesamt, so schätzen BR Recherche und das New Yorker Recherchebüro ProPublica auf Basis von Finanzmarktbewegungen, sind dem deutschen Fiskus seit 2011 rund fünf Milliarden Euro durch zweifelhafte Deals zwischen ausländischen Großinvestoren und deutschen Banken entgangen.

Die Methode: Cum/Cum-Deals

Und das ist der Trick: Cum/Cum-Geschäfte. Einmal im Jahr schütten deutsche Konzerne eine Dividende aus. Ausländische Großaktionäre müssen darauf eigentlich Kapitalertragsteuer zahlen, meistens 15 Prozent. Um das zu vermeiden, machen sie einen Deal, zum Beispiel mit einer deutschen Bank: Sie verleihen ihre Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag nach Deutschland. Denn der deutsche Aktienhalter kann sich die Kapitalertragsteuer anrechnen oder vom Staat erstatten lassen. Kurz nach dem Dividendenstichtag wandern die Aktien zurück ins Ausland zu den ursprünglichen Besitzern. Kursrisiken wurden vorher abgesichert, die gesparte Steuer teilen sich die Partner auf. Der deutsche Staat geht leer aus.

Der Fall Commerzbank

Zweistellige Millionenbeträge sind dem Fiskus nach den Recherchen des Bayerischen Rundfunks durch die Cum/Cum-Aktivitäten der Commerzbank in den vergangenen Jahren entgangen.

Und zwar jedes Jahr. Die Summe könnte sogar noch höher sein, wie eine Auswertung des deutschen Unternehmensregisters durch BR-Data ergab. Demnach meldete die Commerzbank zwischen 2013 und 2015 rund 250 mal Überschreitungen und Unterschreitungen von Stimmrechtsanteilsschwellen bei deutschen Aktiengesellschaften, darunter Adidas, Siemens oder die Deutsche Bank. Rund 80 Prozent der Fälle ereigneten sich rund um die Auszahlung der Dividende. Experten bestätigten dem BR, dass dies ein klares Indiz für Cum/Cum-Geschäfte sei.

Die Commerzbank beantwortet eine umfangreiche inhaltliche Anfrage des Bayerischen Rundfunks mit dem Hinweis darauf, dass sie bei täglich über 100.000 Handelsgeschäften "zwangsläufig" in so genannten Cum/Cum-Situationen agiere. Und weiter: "Wir stellen durch umfangreiche interne Systeme und Kontrollen sicher, dass alle Handelsgeschäfte im Einklang mit dem geltenden Recht stehen."

"Dividendenstripping"

Cum/Ex

Das Prinzip: Ausnutzen der "Zeitverschiebung" zwischen millisekundenschneller Abwicklung und Langsamkeit der Abrechnung durch den Fiskus

Der Käufer erwirkt Aktien unmittelbar vor dem Dividendenstichtag ("cum Dividende"), die Aktien werden seinem Depot erst nach dem Dividendenstichtag ("ex Dividende") gutgeschrieben. Nur der Verkäufer zahlt Steuer auf die Dividende, doch beide Partner dürfen sich die Kapitalertragssteuer anrechnen lassen. Seit 2012 hat der Getzgeber dieses Steuerschlupfloch geschlossen. Mehrere Geldhäuser mussten wegen Cum/Ex-Geschäften Steuern ans Finanzamt zurückzahlen.

Cum/Cum

Das Prinzip: Ausnutzen unterschiedlichen Steuersätzen und -regeln in verschiedenen Staaten

Durch transnationales Hin- und Herverschieben ("Verleihen") von Aktienpaketen zum Zeitpunkt der Dividendenausschüttung ("cum Dividende") wird die Steuer bis auf Null minimiert. In den USA bereits verboten, in Deutschland und vielen anderen Staaten bisher legal.

Variante: Leerverkäufe

Das Prinzip: "Hütchenspieler"

Ein Fall für echte Steuervermeidungsexperten: Um die Steuerfahnder zusätzlich zu verwirren, wird die Cum/Ex-Transaktion über einen Mittelsmann abgewickelt, der das Aktienpaket zum Zeitpunkt des Deals noch nicht besitzt, sondern erst nachträglich erwirbt. Am Ende haben zwei der drei Partner Anspruch auf Steuerrückerstattung, der Gewinn wird aufgeteilt.

Juristisch zweifelhaft

Experten aber bezweifeln, dass solche Geschäfte grundsätzlich zulässig sind. "Wenn keine anderen wirtschaftlichen Gründe außer Steuervermeidung vorliegen, dann sind wir dem Wortlaut nach im Missbrauch von Steuergestaltung nach Paragraf 42 der Abgabenordnung. Das ist der eindeutige Gesetzeswortlaut", sagte Professor Christoph Spengel, Steuerexperte an der Universität Mannheim und Berater von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dem Bayerischen Rundfunk.

Das Bundesfinanzministerium war zu einem Interview nicht bereit. In einer kurzen schriftlichen Stellungnahme schreibt der Sprecher von Schäuble: "Wir erwarten, dass sich die Commerzbank AG an alle geltenden rechtlichen Vorgaben hält." Auch auf die Frage, wie hoch der finanzielle Schaden durch Cum/Cum-Geschäfte für den deutschen Fiskus ist, antwortet das Ministerium ausweichend: "Zur Höhe der möglicherweise durch Cum/Cum-Gestaltungen entstandenen Steuerausfälle liegen dem Bundesministerium der Finanzen keine hinreichenden Erkenntnisse vor, die eine verlässliche Schätzung ermöglichen würden."

Die Grünen reagieren empört

Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag, Gerhard Schick, sagte dem Bayerischen Rundfunk, er fühle sich als Steuerzahler veräppelt, wenn Banken, die der Staat gerade gerettet hat, zu Lasten desselben Geschäfte machen.

Rechercheteam

Die Recherche ist eine Kooperation des Bayerischen Rundfunks (BR Recherche / ARD-Politmagazin report München) mit dem New Yorker Recherchebüro ProPublica (Cezary Podkul), der Washington Post (Allan Sloan) und dem Handelsblatt (Sönke Iwersen und Volker Votsmeier).


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Kommentieren

Das Leihschwein, Mittwoch, 04.Mai 2016, 08:20 Uhr

17. Banken,Versicherungen,Industriekonzerne habe ihre Mitarbeiter in den

Ministerien sitzen und erarbeiten Gesetze die im Parlament verabschiedet werden, da muss man sich nicht wundern, wenn Steuerbetrug keine Straftat ist. Natürlich frage ich mich warum deutsche Banken die 15% Steuern auf Dividende vom Finanzamt erstattet bekommen. Warum ändert das Finanzministerium dieses Gesetz nicht sofort würde der Betrug ein Ende finden. Das einzige Geschäftsmodel deutscher Banken ist Steuervermeidung und risikolose Gewinn Maximierung durch ausnutzen von Schlupflöcher in den Steuergesetzen.

F.Pröpper-Schönleber, Dienstag, 03.Mai 2016, 22:18 Uhr

16. cum-cum

Ist das noch fassbar? Für mich nicht. Da wird jeder ALGII Empfänger (ich habe seit Jahren beruflich mit ihnen zu tun) kontrolliert und sanktioniert bis zum geht-nicht-mehr und dann dürfen Banken, deren Rettung uns Milliarden gekostet hat und kosten wird, uns ungestraft um Milliarden an Steuern bringen. Herr Schäuble, wie wär's wenn Sie Ihre "schwarze Null" mal auf Bankenkosten finanzieren würden? Wie sagte Liebermann so schön?:" Ich kann nicht soviel essen,wie ich kotzen möchte" Es ist eine Schande!!!

  • Antwort von Lohengrin, Sonntag, 08.Mai, 22:33 Uhr

    100 Prozent Zustimmung. Das besonders Verwerfliche daran ist, dass die Commerzbank dem Staat gehört und der Finanzminister diese Steuerhinterziehung toleriert. Die Etablierten haben abgewirtschaftet!!!

Ein besorgter Bürger, Dienstag, 03.Mai 2016, 20:47 Uhr

15. Die fragwürdigen Geschäfte der Commerzbank

Wodurch unterscheiden sich (deutsche) Großbanken denn mittlerweile noch von der organisierten Kriminalität?
Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht wieder ein eklatanter Rechtsverstoß einer Großbank publik wird - und wir sprechen entgegen der Ansicht so manchen Koppers eben nicht von Peanuts. Die Rechtsbrüche werden fortwährend seit Jahren oder besser Jahrzehnten begangen und selbst dem am schlechtesten informierten Politiker dürften die Praktiken der Abzocker in Nadelstreifen mittlerweile bekannt sein; oder wird von unseren "Volksverdrehern" bewusst weggehört und weggeschaut? Neben alldem ärgert mich, dass wir Bürger für Untätigkeit und Unfähigkeit auch noch Pensionen zahlen müssen. In der Industrie werden unfähige Manager mittlerweile auch verklagt und - wenn leider auch selten - zu Schadenseratz herangezogen. Schade, dass es keinen Straftatbestand der Unfähigkeit in der Politik gibt.

  • Antwort von qw, Dienstag, 03.Mai, 22:17 Uhr

    Wir Bürger lassen uns viel zu viel gefallen. Nicht die Flüchtlinge sind unser primäres Problem, sondern unsere Regierung. Schäuble verkauft uns permanent fuer dumm und Merkel verrät unsere Pressefreiheit und unsere Werte durch ominöse Handelsabkommen etc. Wir sind halt selbst schuld.

Gerd Baumann, Dienstag, 03.Mai 2016, 17:40 Uhr

14. cum-cum-Geschäfte

Habe jetzt mehrere Beiträge dazu in B2 gehört: Wieso fragt niemand danach, weshalb inländische (oder angeblich inländische) Aktienbesitzer die Steuer erstattet bekommen?

Adira, Dienstag, 03.Mai 2016, 14:41 Uhr

13. Heuchelei

Interessant! Die, die für die Gesetze verantwortlich sind, die das alles erst möglich machen, sind empört. Ohne Worte.

  • Antwort von Ein besorgter Bürger, Dienstag, 03.Mai, 21:20 Uhr

    Zum Schein empört, nur zum Schein.

    Ein halbes Jahr aussitzen, so lange reicht das durchschnittliche Politik-Gedächtnis des Durchschnittswählers. Übersteht ein Politiker 180 Tage, kann er - danach unbesorgt - so weiter machen wie bisher, die Empörung des Bürgers nimmt doch allzu schnell ab. Und zum Abschluss noch ein gekonntes Andienen an so manchen Großkonzern und schon ist finanziell alles geritzt. Und der Bürger empört sich erneut - kurzfristig. In Frankreich würden Autos brennen.

    Aber - ehemals politische - Unfähigkeit zeigt sich fortwährend und ehe sich ein Großkonzern versieht, gibt es zwei ad-hoc-Mitteilungen und der Börsenwert löst sich in Luft auf.

    Wie hat sich eigentlich der Börsenkurs der Dt. Bahn entwickelt?