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Baby Take Home Rate Abschied vom Kinderwunsch

Nach vier Versuchen mit einer Kinderwunschbehandlung, werden rund die Hälfte der Paare Eltern. Die andere Hälfte bleibt weiterhin ohne Kinder. Für sie beginnt nach mehreren erfolglosen Jahren des Probierens eine Zeit oft widersprüchlicher, ambivalenter Gefühle, Trauer und Orientierungslosigkeit. Sich vom Kinderwunsch endgültig zu verabschieden, bleibt eine lebenslange Herausforderung.

Von: Bernd Thomas

Stand: 28.03.2022

Claudia und Thomas Mosers Leben teilt sich in ein Leben mit und nach dem Kinderwunsch. Dazwischen liegen Jahre voller Hoffnung, Behandlungen und Trauer. Zunächst hatte die Chemieingenieurin berufliche Ziele. Doch als sie bereits über dreißig war und sie und ihr Mann sich Kinder wünschten, klappte es nicht. Bei ihr wurde schließlich eine Endometriose diagnostiziert, eine der häufigsten Ursachen für Kinderlosigkeit bei Frauen.

"Der Kinderwunsch war anfangs gar kein Thema für mich, da standen die beruflichen Interessen im Vordergrund. Doch als ich die Diagnose wusste, war plötzlich mein Kinderwunsch umso stärker."

Claudia Moser

Die beiden hatten bereits in Deutschland mit einer Kinderwunschbehandlung begonnen, als sie einige Jahre nach Japan gingen. Dort setzten sie die Behandlungen fort. Aber alle Versuche schlugen fehl. Das Thema Kinderwunsch wurde für Claudia Moser immer bestimmender:

"Es war, wie wenn ich gezwungen bin weiterzumachen. Das sind schon solche Versagensgefühle, Gefühle wie Fassungslosigkeit, Wut, Trauer und Ohnmacht. – Was für mich besonders schwer war, ist, wenn man seine Frau leiden sieht, ihre Versuche, ihre Anstrengungen. Dann steht man als Mann ohnmächtig daneben und fühlt sich hilflos."

Claudia und Thomas Moser

Wie den Mosers geht es vielen Paaren. Auch wenn bei einer Kinderwunsch Behandlung ein Embryonentransfer heute zu rund 93 % gelingt, liegt die Schwangerschaftsrate durchschnittlich bei 33 Prozent. Die Geburten- oder so genannte Baby Take Home Rate, ist aber nochmals niedriger und liegt bei 23 % Prozent. Je älter die Frauen und Paare sind, desto geringer ist die Chance auf Schwangerschaft und Geburt. Nach vier Versuchen ist noch jedes zweite Paar ohne Kind. Nach fünf Versuchen beschlossen Claudia und Thomas Moser aufzuhören.

"Und plötzlich wurde ich spontan schwanger, wir waren wie vom Donner gerührt. Aber zehn Wochen später bekam ich eine Fehlgeburt. Und dann habe ich einfach weitergemacht, das war, wie wenn ich in einem Nebel laufe. Keiner der Ärzte hat das Wort Depression in den Mund genommen, aber es war wahrscheinlich eine. Und nach ein paar Monaten habe ich gemerkt, ich komme da gar nicht raus."

Claudia Moser

Abschied vom Kinderwunsch: Lebenslanges Thema

Wie wichtig Beratung und Hilfe bei ungewollter Kinderlosigkeit sind, hat auch die Sozialpädagogin, Autorin und Beraterin Iris Enchelmaier erfahren.

"Wir haben fünf Jahre versucht, ein Kind zu bekommen, und dann ist es mir gelungen, Abschied zu nehmen davon. Ich lebe jetzt ein glückliches Leben. Und trotzdem ist es ein Thema, was mich ein Leben lang begleiten wird."

Iris Enchelmaier

Zu Beginn der 2000er Jahre beendet sie die Versuche, schwanger zu werden. Damals gibt es kaum Hilfsangebote, das Thema war Tabu. Sie recherchierte und schrieb selbst ein Buch, das erste in Deutschland. Der Abschied vom Kinderwunsch ist für sie vergleichbar mit dem Tod eines geliebten Menschen. „Ungewollt Kinderlose müssen sich zwar von einem Menschen verabschieden, der noch nie dagewesen war, aber der einfach schon ganz viel Raum in ihrem Leben eingenommen hat und der ihr Leben oft schon jahrelang bestimmt hat“, erzählt Iris Enchelmaier.

Mit der Flut ambivalenter Gefühle zurechtzukommen, brauche oft Jahre: „Ich finde, ungewollt kinderlos gebliebene Frauen und Männer sollten sich das auch zugestehen. Ich habe eine Trauerzeit, und ich nehme mir die Zeit, diese Trauer zu leben. Und diese Zeit ist auch wertvoll, sie ist Teil des Lebens.“

Beratung und Austausch über Alternativen

Nur circa zwei bis fünf Prozent der Frauen und noch weniger Männer der Paare, die eine Kinderwunschbehandlung in Anspruch nehmen, lassen sich während der Behandlung beraten. Christiane und Heiko Hucke gehören zu denen, die sich Hilfe geholt haben. Auch sie haben sich entschlossen, offen über ihre Situation zu sprechen.

"2016 haben wir geheiratet und haben uns dann, als es so nicht direkt geklappt hat, noch ein knappes Jahr gegeben, sind dann in 2017 in Behandlungen gegangen. Das ist schon schwierig, denn man macht sich ja doch Hoffnungen. Wenn man dann in so eine Klink kommt, dann sind dann dort Frauen, die sagen, es hat beim ersten Mal schon geklappt. Und man selbst ist das zweite Mal hier und liegt dann halt da und hofft, hoffentlich fuktioniert es dann auch bei dir. Und dann ist es halt dann nicht so. Ja, man macht sich dann doch schon seine Gedanken. Das ist schon schwierig."

Heiko und Christiane Hucke

Nachdem zwei Behandlungen erfolglos blieben, begannen sie auch über eine Samenspende nachzudenken: „Es lag im Prinzip daran, dass bei mir die labortechnischen Werte so schlecht waren, dass es halt auf natürlichem Weg nicht funktionieren konnte. Ich bin dann irgendwann in Panikattacken reingelaufen und so Angstzustände, so dass ich dann dachte, jetzt bekomme ich gleich einen Herzinfarkt. Das war dann wirklich dieser inhaltliche Stress, der das Ganze ausgelöst hat. Also da braucht man schon Betreuung“, schildert Heiko Hucke.

Die beiden wenden sich an den Verein Donum Vitae in Erfurt. Der ist Teil eines bundesweiten kostenfreien Netzwerks von Familienberatungsstellen. Nach erfolglosen Behandlungen kann es hilfreich sein, sich über Alternativen und weitere Möglichkeiten zu informieren.

"Es geht immer darum zu schauen, was bringt das Paar mit? Wo sind sie gerade, was beschäftigt sie, was brauchen sie gerade? Und je nachdem besprechen wir auch Plan B oder C. Und da sind die Vorstellungen teilweise sehr unterschiedlich, das Tempo der Paare ist auch sehr unterschiedlich. Da kann die Beratung dann den Raum bieten, sich Zeit zu nehmen, mögliche Alternativen und Gefühle auch wahrzunehmen."

Ramona Täubert, Dipl. Sozialpädagogin, Systemische Familientherapeutin, Donum Vitae, Erfurt

Adoption oder Pflegekinder kommen für die beiden nicht in Frage. Aber auch die bisherigen Versuche mit Samenspenden blieben erfolglos. Ein möglicher Abschied vom Kinderwunsch rückt näher.

"Jetzt sind wir im Prinzip so auf dem Stand, dass wir immer noch hoffen, dass es so auch klappt. – Auf der einen Seite merkt man schon, es ist jetzt zwar kein Kind da, man hat viel, aber auf der anderen Seite wünscht man sich das schon, wenn hier so kleine Füße rumtrampeln. Es ist schwierig. Vor allem sprechen wir natürlich auch nicht mit jedem darüber. Und vielen ist auch nicht bewusst, was das bedeutet. Viele fragen gar nicht nach." Heiko und Christiane Hucke

Annahme des eigenen Schicksals

Auch Claudia Moser coacht heute Frauen nach einer erfolglosen Kinderwunschbehandlung. Sie weiß, die Trauer kann immer wieder kommen. Ihr Ziel ist es, anderen zu helfen, ein erfülltes Leben aufzubauen, auch kinderlos glücklich zu werden. Es geht darum, das eigene Schicksal anzunehmen, – ohne Wenn und Aber und eine neue Perspektive für das eigene Leben aufzubauen: „Es geht wirklich darum, mit dem Kinderwunsch in Frieden abzuschließen, den zu integrieren ins Leben. Und das ist die Basis für eine neue Perspektive, beruflich und privat“, rät Claudia Moser.

Denn dann kann der Neuanfang auch eine Chance sein, sich die Freiheit zu nehmen, über bisher nicht genutzte Ziele und Resourcen nachzudenken, etwas Neues aufzubauen.

Rituale können helfen

Sie selbst und ihr Mann hatten sich, nachdem auch bei ihnen vor wenigen Jahren die Trauer zurückgekommen war, mit einem Brief und einem Ritual endgültig von ihrem ungeborenen Kind verabschiedet. „Das war hochemotional. So eine Zeremonie sollte man nicht unterschätzen, das ist echt hilfreich“, berichtet Thomas Moser. Die Beziehung der beiden hat das nochmals gestärkt. Kein Einzelfall, denn die Beziehungen vieler ungewollt kinderloser Paare werden durch die gemeinsam durchlebten schwierigen Jahre eher gestärkt, als dass die Paare auseinandergehen.

Iris Enchelmaier sieht in der Beratung von Frauen durch Frauen, die selbst ungewollt kinderlos geblieben sind, einen großen Vorteil: „Diese Frauen wissen, was es bedeutet, Abschied vom Kinderwunsch zu nehmen. Sie verstehen ihr Gegenüber auf einer ganz anderen tieferen Ebene. Ich glaube, das ist eine ganz besondere Qualifikation.“


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