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Fernweh: Unterwegs zwischen Atlantik und Mittelmeer Ein Streifzug durch die Pyrenäen

"In meinem Herzen liegt eine kleine Flocke, eben geboren, ein Ei: Sehnsucht nach den Pyrenäen." So hat es der Schriftsteller Kurt Tucholsky formuliert, 1927 in seinem Pyrenäen-Buch. Die Essays spiegeln seine Reisen und Wanderungen in einer damals noch nahezu unerforschten Gebirgswelt von bizarrer Schönheit.

Von: Andrea Zinnecker

Stand: 30.03.2024

Alpiner Natur- und Kulturraum von großer Vielfalt

Die Pyrenäen gibt es eigentlich nicht. Denn die Pyrenäen sind sprachlich, kulturell und geologisch ein alpiner Natur- und Kulturraum von unglaublicher Vielfalt – eine Brücke zwischen Frankreich und Spanien mit Andorra mittendrin. Gut 430 Kilometer lang erstreckt sich die wilde Gebirgskette vom Atlantik bis zum Mittelmeer, vom Baskenland bis nach Katalonien.

Die Pyrenäen trennen die Iberische Halbinsel vom restlichen Europa, vereinen aber Menschen und Mentalitäten. An die 200 Gipfel sind über 3.000 Meter hoch. Drei Nationalparks bilden das ökologische Rückgrat der Pyrenäen. Seltene endemische Pflanzen und Tiere fühlen sich hier wohl: vom Bartgeier über den Bergpieper bis zum Zitronenzeisig, von der Pyrenäengämse über den Iberischen Steinbock bis zum Pyrenäenmolch und Mohrenfalter, von der Schwarzkiefer bis zum Pyrenäen-Felsenteller.

Der Name Pyrenäen kommt vermutlich von der Pyrene, einer Figur aus der griechischen Mythologie, die von Herakles verfolgt hier zu Tode kam und deren Name laut Legende als Klageruf im Echo des Gebirges zu hören ist.

Anspruchsvoller Skitourenberg Pico de Aneto

Weite Hänge zum Pico de Aneto

Wer heute in den Pyrenäen - gerne im Frühjahr - auf Skitour geht, der klagt zuweilen über die wilden Wetterwechsel. Nicht weit weg vom Meer kann es grimmig werden, wenn ein spätwinterlicher atlantischer Tiefausläufer über den höchsten Gipfel der Pyrenäen zieht: Der Pico de Aneto im Norden von Aragonien ist 3.404 Meter hoch, der dritthöchste Berg Spaniens und ein idealer, aber anspruchsvoller Skitourenberg.

Geologisch-botanisches Gebirgs-Konglomerat

Gelb blühender Ginster vor erzhaltigem rotem Granit in Andorra

Die Pyrenäen sind in vielerlei Hinsicht eine Art Konglomerat, auch geologisch. Das Spektrum reicht von bizarren Gipfeln aus Kalkstein mit senkrechten Kletterwänden bis zu groben, felsigen Urgesteins-Gipfeln aus Gneis und Granit, die an die piemontesischen Alpen erinnern: ähnlich rau, mit vielen Seen und dunklem Gestein. Kein Wunder, denn die Auffaltung der Pyrenäen wie der Alpen fällt in denselben Zeitraum vor rund 60 bis 80 Millionen Jahren.

Die Vielfalt der Pyrenäen ist auch durch die Lage zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Meeren bedingt - im Westen die wilde Biskaya, also der Atlantik mit seiner bis ins Gebirge reichenden Wetterdynamik, im Osten das sanftere Mittelmeer. Sowohl im Norden als auch im Süden der Pyrenäen breitet sich Tiefland aus. Im Norden ist es das weitläufige Entwässerungsgebiet zur Garonne hin, die bei Bordeaux in den Atlantik mündet, und im Süden führt das Ebro-Tal zum Mittelmeer.

Die völlig unterschiedlichen Einflüsse zeigen sich auch in der Botanik. So gibt es Pflanzen aus dem mediterranen Raum wie Heidekräuter oder die Sternhyazinthe, genauso aber auch alpine Pflanzen wie das Edelweiß und drittens dann noch endemische Pflanzen, die nur in den Pyrenäen vorkommen. Die schönste ist wohl die Pyrenäen-Lilie, die wie ein Türkenbund in Gelb ausschaut.

Europäische Kulturgeschichte und mythische Plätze in den Pyrenäen

Der erste berühmte Mann, der die Pyrenäen überquert hat, war Hannibal mit seinen afrikanischen Kriegselefanten im Jahr 218 vor Christus, damals auf dem Weg zu den Alpen, die er dann auch überschritten hat. Einer der, wenn man so will, frühesten europäischen Romane erzählt vom Ritter Roland, der mit Karl dem Großen um 800 auf Kriegszug gegen das damals islamisch regierte Spanien geht. 1659 wurde der Pyrenäenhauptkamm dann mit dem so genannten Pyrenäenfrieden zur Grenze zwischen Frankreich und Spanien.

Vom Malerstädtchen Collioure an der französischen Mittelmeerküste führt der Walter-Benjamin-Weg nach Port Bou. Der deutsch-jüdische Philosoph hat, wie viele andere auch, 1940 nach der Eroberung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht die Flucht nach Spanien gewagt. Seine tragisch geendete Flucht über die Pyrenäen ist durch das Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock etwas bekannter geworden.

Burg von Torla im Ordesa-Tal

An vielen Orten in den Pyrenäen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Archaische Dörfer und Strukturen sind noch zu erleben, es haben sich bizarre wie einzigartige Orte herausgebildet. Von Lourdes kann man halten, was man will, aber man sollte diesen Ort einmal gesehen haben. Zu den mythischen alpinen Plätzen in den Pyrenäen zählt auch die Breche de Roland im Nationalpark Ordesa y Monte Perdido. Hier wollte laut Sage Ritter Roland nach seiner Niederlage gegen die Sarazenen sein Zauberschwert zerstören, indem er es auf den Bergkamm schlug. Auf diese Weise soll die gut 100 Meter tiefe Lücke im Pyrenäen-Hauptkamm direkt auf der Grenze zwischen Frankreich und Aragon entstanden sein, durch die man heute hindurchwandern kann.

Der Nationalpark Ordesa y Monte Perdido ist übrigens der älteste Nationalpark der Pyrenäen und wurde 1918 gegründet. Sein höchster Gipfel ist mit 3.355 Metern der Monte Perdido, der „Verlorene Berg“, was angesichts der Gletscherschmelze durchaus zutreffend ist.

Wandern im Nationalpark Aigüestortes

Im Val d'Aran

Im Herzen der spanischen Pyrenäen, in den Hochpyrenäen der Provinz Lleida, liegt der 1955 gegründete Nationalpark Aigüestortes i Estany de Sant Maurici, der einzige Pyrenäen-Nationalpark auf katalanischem Gebiet. Der Name bedeutet „gewundene Wasser“, der rund 200 kristallklaren Seen und mäandernden Bergbäche wegen. Eine fordernde lange Wanderung führt zum Beispiel vom Val de Boi mit seinen romanischen Weltkulturerbe-Kirchen hinüber ins romantische Val d’Aran, das als einziges Tal in den Pyrenäen vom atlantischen Klima geprägt wird, weil nach Süden hin die hohen Berge aufragen und das Tal zum Mittelmeer hin abschotten.

Als Kultur-Wanderführerin ist Anna Maria Dahm im Val d’Aran zuhause. Die gebürtige Kölnerin hat sich vor 20 Jahren in die Pyrenäen verliebt, hier eine alte Borda restauriert, zu  einer „Casa rural“ mit Gästehaus ausgebaut und eine Wander-Agentur gegründet. „Luna Trails“ bietet Wandern für alle Sinne und maßgeschneiderte individuelle Touren an (www.lunatrails.com). Ein Highlight im Aran-Tal ist die sogenannte Feuerwagen-Tour, die in einer neuntägigen Runde zu neun Berghütten führt.

Käse & süße Mona

Im Val d‘Aran befindet sich auch die höchstgelegene Käserei der Pyrenäen, deren Spezialität ein weicher Kuhmilchkäse ist, der aus dem Töpfchen heraus aufs Brot gestrichen wird. Ziegenkäse gibt es vor allem auf der französischen Seite der Pyrenäen. Dort wird Käse auch gern mit Olivenöl, Essig und Armagnac affiniert.

Auf der katalanischen Seite der Pyrenäen kommt als Ostergebäck die „Mona de pascua“ auf den Tisch, eine Art Brioche, die früher mit hartgekochten Eiern serviert wurde, heute aber für die Kinder mit Schokolade überzogen wird.

Aktivsein in Andorra & Mountainbiken in Aragonien

Reiten ist in Andorra sehr beliebt. Die Pferde der Rasse Mérens sind für die Berge bestens geeignet.

Zwischen dem Nationalpark Aigüestortes und dem Naturpark katalanische Pyrenäen liegt der Zwergstaat Andorra. Das kleine unabhängige Fürstentum mit nur rund 80.000 Einwohnern ist für seine Skiorte bekannt und als Steueroase. Aber auch Aktivurlauber wie Wanderer, Mountainbiker, Reiter und Klettersteiggeher kommen hier auf ihre Kosten, denn nur acht Prozent des Staatsgebietes sind bebaut oder genutzt – der große Rest sind Berge, Seen, Flüsse, Wiesen. Flache Strecken gibt es allerdings kaum in Andorra.

Die schwerste Etappe der Tour de France führt über den 2.115 Meter hohen Col du Tourmalet in den Pyrenäen. Zum genussvollen Mountainbiken aber empfiehlt sich das Valle de Hecho in den aragonesischen Pyrenäen: ein Bilderbuchtal mit einer spektakulären Schlucht, Almwiesen, traumhafter Bergkulisse und steinzeitlichen Dolmen.

Auf den Spuren von Katharern, Falles und Künstlern

Einer der Hauptorte der Katharer ist Carcassonne

Geschichten und Geschichte: Auch das dunkle Mittelalter gehört zu den Pyrenäen - Stichwort Ketzer. Christen, die nicht genau nach den kirchlichen Vorschriften gelebt und gebetet haben, wurden im Süden Frankreichs als Ketzer verbrannt. Eine der wichtigsten Sekten, die damals verfolgt wurden, waren die Katharer. In der französischen Provinz Languedoc-Midi-Pyrénées, auch bekannt als Okzitanien, gibt es den „Sentier Cathàre“.

Der Wanderweg ist rund 200 Kilometer lang und führt vom Mittelmeer hinein in die Pyrenäen und vorbei zu vielen Verstecken und Rückzugsorten der Katharer. Der Bereich der nordöstlichen Pyrenäen, den sie mit ihren Burgen besiedelt haben, ist zugleich bis heute eine Region, in der die „Langue d’Oc“, das Okzitanisch gesprochen wird. In dieser mittellateinisch-französische Sprachen haben auch die berühmten Troubadours gedichtet und gesungen.

Neben diesen mittelalterlich-okzitanischen Relikten prägt natürlich die katalanische Sprache die Pyrenäen. Sie wird sowohl auf der französischen Seite mit dem Hauptort Perpinya, also Perpignan, als auch auf der spanischen Seite gesprochen – genauso wie im Westen der Pyrenäen das Baskische, das im eigentlichen Baskenland, aber auch in der Gascogne, dem ganzen Gebiet westlich von Toulouse präsent ist. All diese sprachlich und kulturell markanten Gebiete haben ihre eigenen Traditionen, von der Käseherstellung bis zu den Instrumenten wie Dudelsack und Kastagnetten.

Bergkette an der Grenze zwischen Spanien und Frankreich

Auch in den Bergen werden besondere Bräuche gepflegt. Die französischen Katalanen steigen zum Beispiel einmal im Jahr auf den 2.800 Meter hohen Canigou. Im spanischen Val de Boi hat sich die Tradition der Falles erhalten, wahrscheinlich einer der am tiefsten in der Kulturgeschichte verwurzelte Feuerbrauch. Dort sammeln die Bewohner das Jahr über Äste der Schwarzkiefern, die eine Astgabel haben. Daraus wird dann eine Art Feuerkorb gemacht und zur Sonnwendfeier im Juni angezündet. In einer langen Feuerschlange rennen die Männer des Dorfs dann den Berg hinab in den Ort, wo dann de Nacht hindurch ein rauschendes Fest gefeiert wird.

Vom Gebirge ans Meer

In Collioure: Hafen und Strand mitten im Ort

Im Mittelmeer gehen die Pyrenäen baden, an der südfranzösischen Küste nahe der spanischen Grenze. Viele Maler des Impressionismus und der Klassischen Moderne ließen sich von der Landschaft rund um Collioure bezaubern. Heute führt ein Wanderweg von Fischerdorf zu Fischerdorf, vom französischen Collioure ins spanische Cadaqués, das vor allem durch Salvador Dali berühmt wurde. Von den Pyrenäen pfeift oft der Tramuntana hinab zum Meer und lässt die Farben noch intensiver wirken. Umgekehrt betört der Blick hinauf zu den oft noch bis Juni schneebedeckten hohen Pyrenäen-Gipfeln.


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