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Interview zu Homophobie // Muriel Aichberger "Ich steh wieder auf, richte mein Krönchen und laufe weiter."

Muriel hat sich mit 16 geoutet. Bis heute erlebt er jeden Tag offene und unterschwellige Homophobie. Wir haben mit ihm darüber geredet, wie er damit umgeht und was er sich von der Gesellschaft wünscht.

Stand: 24.05.2018 | Archiv

Muriel Aichberger | Bild: Muriel Aichberger

Muriel Aichberger ist 33 Jahre alt, lebt in München und hat sich schon mit 16 Jahren geoutet. Bis heute erlebt er jeden Tag offene und unterschwellige Homophobie. Auch deswegen engagiert er sich als Aktivist, Wissenschaftler, Berater und selbsternannte Polittunte für die Community. Er berät öffentliche Einrichtungen, Firmen, Vereine, LGBT*I-Gruppen und Einzelpersonen zu den Themen Equality, Diversity und Inclusion. Wir haben mit ihm darüber geredet, wie er mit Homophobie umgeht und was er sich von der Gesellschaft wünscht.

PULS: Muriel, wann war dein Coming Out?

Muriel Aichberger: Ich habe mich recht früh geoutet, schon mit 16 Jahren. Es war so ein sukzessives Coming Out. Als erstes kam natürlich das innere Coming Out, wenn man selbst merkt, dass irgendetwas anders ist. Das war schon mit 13. Und dann habe ich mich langsam rangetastet. Zuerst habe ich es meinem kleineren Bruder erzählt, dann meiner Oma, die das ganz cool aufgenommen hat. Irgendwann habe ich in der Schule mal angedeutet, dass ich bi bin und als das ganz gut ankam, habe ich mich in der Schule und vor meinen Eltern geoutet.

Wo hast du die Infos herbekommen? Viele werden ja darüber nicht aufgeklärt…

Ich hatte das Glück, dass wir ein Haushalt waren, in dem es schon sehr früh Internet gab. Das heißt, ich hatte dadurch relativ guten Zugang zu Informationen. Das war auch ein bisschen ein Coming Out, von dem ich nichts wusste, weil mein Vater natürlich überprüft hat auf welchen Seiten ich unterwegs war. Er wusste es eigentlich schon zwei Jahre bevor ich mich geoutet habe, hat nichts gesagt und gewartet bis ich bereit war. Aber in meinem Freundeskreis gab es auch ganz andere Geschichten, die dramatischer verlaufen sind.

Die Informationen, die ich bekommen habe, waren natürlich sehr stark geprägt von unserer heterosexuellen Gesellschaft. Man hat bei uns im Sexualunterricht diese Themen mit spitzen Fingern angefasst und wir mussten vor und nach dem Sexualkundeunterricht mit unserem Lehrer beten. Vielleicht ist das typisch Österreich oder auch typisch Bayern. Heterosexualität, verheiratet sein und  Kinder kriegen wurde als Norm dargestellt. Homosexualität, die damals noch Transsexualität hieß, erklärte man hingegen als abnormal, psychologisch falsch oder als eine Art Mangel.

Wie war das in der Schule – hast du Homophobie an der Schule erlebt?

Ja. In Europa gibt es definitiv Homophobie. Es gibt sie auch in Deutschland oder in Österreich, wo ich aufgewachsen bin. Wie ich sie erlebt habe, ist das eine Art "Schulhof Homophobie". So etwas wie: "Du Schwuchtel!" oder "Boah ist die Arbeit schwul!" wird als Schimpfwort oder Beleidigung benutzt. Schwul bedeutete im Mittelalter eigentlich, dass etwas nicht ganz vertrauenswürdig, irgendwie nicht eindeutig bestimmbar ist. Das war für mich vor allem schlimm, als ich mich noch nicht geoutet hatte. Da hat man mir auf der Straße "Schwanzlutscher" nachgeschrien oder mich sogar geschlagen oder körperlich angegriffen. Als ich mich dann geoutet habe, war ich quasi einsortierbar und plötzlich war es okay. Was aber ganz schlimm war, und das ist glaube ich auch etwas worüber zu wenig gesprochen wird, ist das man selber das Gefühl hat, falsch zu sein. Das ist ein ganz intensives Gefühl. Dafür braucht es Niemanden, der von außen "Schwuchtel!" schreit, sondern du selbst beginnst damit dich zu verändern. Du achtest zum Beispiel darauf nicht aufzufallen, nicht schwul zu gehen, zu sprechen, keine schwulen Gesten zu machen. Wenn ich in einen Raum gehe, schaue ich auch als erstes: Gibt es hier potenzielle Gefahren, die von irgendjemanden ausgehen könnten? Auch heute habe ich noch Angst, wenn ich unterwegs bin und vor mir eine Gruppe Männer sehe, die eine sehr offensive Körperhaltung haben und laut sind. Seit zehn Jahren versuche ich mich in allen Lebensbereichen zu emanzipieren, trotzdem spüre ich in mir immer noch diese gelernte Homophobie der Gesellschaft, die sagt das hetero die Norm ist und ich quasi die Abnorm.

Wann hast du das letzte Mal homophobische Diskriminierung erlebt?

Ich glaube vor zwei Wochen hat mir wieder jemand "Schwuchtel" im Glockenbachviertel hinterher gerufen. Das kommt schon regelmäßig vor. Wobei ich sagen muss, dass München eigentlich eine echt coole Stadt ist, weil es relativ selten passiert. Ich arbeite ehrenamtlich für die Community als queere Nonne, um über HIV und Geschlechtskrankheiten zu informieren und wir kümmern uns, wie Nonnen das so tun, auch um die seelischen Belange in der Community. Wenn ich dann in drag unterwegs bin, erlebe ich immer wieder Homophobie. Leute rufen "Ihr kranken Schweine! Ihr gehört ins Gas!". Es kommen auch mal körperliche Angriffe vor. Was ich als schwuler Mann gelernt habe: Es darf mir nichts ausmachen. Ich schüttel‘ es ab, stehe wieder auf, richte mein Krönchen und laufe weiter.

Statistiken zeigen, dass die Zahlen der homophoben Straftaten tatsächlich steigen. Wie empfindest du das?

Es überrascht mich nicht besonders, dass die Straftaten steigen, weil es ein größeres Bewusstsein dafür gibt, dass es Straftaten sind. Ich glaube, das hat sehr viel damit zu tun, dass sich Leute endlich trauen diese Straftaten zu melden. Ich glaube nicht, dass die Straftaten so stark angestiegen sind wie die Statistiken das andeuten. Ganz im Gegenteil, die Emanzipation führt dazu, dass wir das nicht mehr dulden, wir fressen keine Scheiße mehr, wir wehren uns, gehen raus und sagen: "Nicht mit mir!". Man trifft immer wieder auf Probleme, weil Leute, wie die Polizei kein offenes Ohr haben, weil man auf genauso viel Unverständnis stößt wie im Rest der Gesellschaft.

Wie verhälst du dich in der Öffentlichkeit? Hältst du Händchen? Küsst du deinen Partner?

Ich war sehr extravagant als junger Mann, habe Röcke getragen, mich geschminkt und wusste andererseits auch immer schwul sein, heißt eigentlich nicht zwangsläufig feminin zu sein. In unseren Köpfen ist der schwule Mann aber sofort immer auch der feminine Mann und der feminine Mann gilt immer gleich als schwul. Mit 20 oder 21 kam jemand zu mir, den ich sehr schätzte, und meinte: "Aus dir machen wir schon noch einen Mann."  Daraufhin habe ich lange versucht ein Mann zu sein, mich sehr viel mit Männlichkeit beschäftigt und gemerkt, dass es ganz viele andere Arten von Männlichkeit gibt, nicht nur die, die wir von der Gesellschaft vorgelegt bekommen. Daraus habe ich mir dann meine eigene Männlichkeit erarbeitet. Die ist sehr schwul und stolz drauf schwul zu sein.

Wir habe die Ehe für alle und Fußballer, die sich öffentlich outen. Ich habe das Gefühl, es passiert gerade einiges in der Gesellschaft. Ist schon alles erreicht?

Wenn wir uns an den ersten Schwulen der Weltgeschichte Karl Heinrich Ulrichs erinnern, der Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten mal gesagt hat "Ich als homosexueller Mann will den §175 verhindern!", also den Paragraph des deutschen Reichsgesetzbuches, der männliche Homosexualität unter Strafe gestellt hat. Wenn wir uns an ihn erinnern und schauen wo wir heute stehen, können wir sagen: Es wird besser. Aber es ist immer ein Hin und Her zwischen "es wird besser" und dann wieder "nicht ganz so gut". Es gibt Leute, die wollen progressiv sein und voran gehen. Und es gibt Leute, die trauen sich das nicht und wollen eher konservativ sein. Es hat sicherlich beides seinen Wert, ich bin aber eher der progressive Mensch. Menschen sollen so frei sein, wie sie sind und sie sollen dabei unterstützt werden, die beste Person sein zu können, die sie sein wollen.

Was muss noch passieren? Meiner Ansicht nach steckt die Menschheit noch in den Kinderschuhen. Es wäre vermessen zu glauben, dass das schon das Ende der Fahnenstange ist. Es ist heute wichtig sich Ziele zu setzen. Sich zu fragen, was wir als Menschheit wollen. Für die Menschheit können wir wollen, dass es Menschen gut geht. Dass Leute sich entwickeln dürfen, dass Leute frei sein dürfen. Natürlich müssen wir weltweit Solidarität zeigen und Leute dort unterstützen, wo Homosexualität oder Transsexualität teilweise eben noch unter Strafe stehen. Ehrlich gesagt kommt da jedes Mal Wut in mir hoch, wenn ich daran denke, wie viele Leute anderen vorschreiben wollen, wie sie zu sein haben, damit sie selbst die Rechtbehaltenden sind. Denn meistens geht es ihnen um nichts Anderes. Das wiederum, ist sehr stark auf unser patriarchales, auf eine Wahrheit, einen Gott oder eine Person ausgerichtetes Weltbild zurück zu führen. Das ist ein derart enges Gedankenkonstrukt, dass es nicht mehr in das Jahr 2018 passt. Wir sind mittlerweile so viele Menschen auf der Erde, dass Probleme von Demographie, Sexualität und Integration aufkommen werden, die einen sehr starken Wandel in der Gesellschaft auslösen. Dem können wir nur begegnen, wenn wir Diversität und Vielfalt als Chance begreifen und nicht versuchen diese zu unterdrücken.

Sendung: Filter vom 17.05.2018 - ab 15 Uhr