Unternehmen - Der BR


3

70 Jahre BR-Chor "Man muss wirklich mit der Zeit gehen"

Der Chor des Bayerischen Rundfunks wird 70 Jahre alt. Als Geschenk für Hörer und Sänger hat Chefdirigent Mariss Jansons ein Programm mit Opernchören zusammengestellt. Ein Gespräch über diese und andere Überraschungen

Von: Felicia Englmann

Stand: 25.03.2016

Mariss Jansons, Chefdirigent des Symphonieorchesters und des Chors des Bayerischen Rundfunks | Bild: Bayerischer Rundfunk / Peter Meisel

BR-Magazin: Überraschungen ziehen Sie als roten Faden durch Ihre Konzertprogramme in Saison. Daher gibt es jetzt eine Überraschungsfrage. Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie vor 70 Jahren gemacht haben?

Mariss Jansons, lachend: Da war ich ein dreijähriges Kind. Daran kann ich mich nur sehr schwach erinnern. Meine Erinnerungen beginnen, als ich etwa fünf Jahre alt war.

Es gibt ein Foto von einem dreijährigen Jungen, der einen gemusterten Kittel trägt und einen Taktstock in der Hand hält ...

Ja, das weiß ich! Da habe ich gespielt, dass ich Dirigent bin. Dass ich eine Probe oder ein Konzert dirigiere. Das war in meiner Phantasie.

In Ihrer Heimat Lettland ist das Singen in Chören ein wichtiger Teil der Kultur. Hat Sie das mit geprägt?

Wir haben in der Schule gesungen, und ich habe auch mitgesungen. Die Chorkultur in Lettland ist sehr berühmt und hat Tradition. Ob kleines Ensemble oder großer Chor, man singt. Fast alle singen irgendwo in einem Chor. Deswegen wir haben so viele Amateurchöre. Sehr berühmt ist auch das Liederfest, bei dem sich alle fünf Jahre an die 60.000 Chormitglieder treffen und zusammen singen. Diese Tradition ist sehr stark.

Sie haben als junger Mann dann zunächst Chordirigat studiert, oder?

Das ist richtig, ich habe Chordirigat studiert. Mein erstes Diplom war: Chordirigent. Das ist sehr gut - am Anfang. Man lernt viel, und es ist sehr gut, wenn man diesen Beruf kann. Aber natürlich war mein Traum, Opern- und symphonischer Dirigent zu werden.

Und dieser Traum hat sich erfüllt. 2003 hatten sie dann wieder einen Chor, nämlich den Chor des Bayerischen Rundfunks. Was ist Ihnen von dem Antrittskonzert mit Igor Stravinskys "Psalmensymphonie" in Erinnerung geblieben?

Mein erster Eindruck war sehr gut. Ich muss sagen, dass ich sofort verstanden habe, dass das ein sehr hochklassiger Chor ist. Sehr professionell. Sehr musikalisch.

Was ist denn das Besondere am Klang des BR-Chors?

Der Chor ist sehr geprägt und sehr balanciert. Er hat einen schönen Klang, er schreit nicht und hat auch ein gutes Pianissimo. Und er ist intelligent. Er beherrscht verschiedene Stile und kann ein sehr breites Repertoire singen.

In den Konzerten haben Sie selten den Chor allein, sondern meistens den Chor mit Orchester. Ist der Chor für Sie dann so etwas wie eine zusätzliche Instrumentengruppe?

Nun, Chor ist Chor. Das ist ein selbständiger Organismus. Auch mit dem Orchester zusammen bleibt ein Chor immer ein Chor. Das ist etwas Besonderes. Man kann nicht sagen, dass das zum Orchester gehört. Das gehört zum ganzen Ensemble und ist ein wichtiger Teil der Aufführungen.

Der Chor hat einen künstlerischen Leiter, im Moment ist das Peter Dijkstra. Wie wichtig ist es, einen solchen künstlerischen Leiter zu haben?

Das ist sehr wichtig. Er ist eigentlich der "Chorus Master". Er arbeitet fast jeden Tag mit dem Chor, gibt die Richtung vor und wendet seine Methode an, damit wir einen Klangkörper bekommen, der gut klingt, der gut im Ensemble singt, der kann alle verschiedenen Werke singen. Peter Dijkstra ist ein exzellenter Chormeister. Durch seine Arbeit ist der Chor immer sehr gut auf die Konzerte vorbereitet.

Viele Dirigenten arbeiten gerne mit dem BR-Chor. Freut Sie es, dass da so viele Künstler aus aller Welt Interesse haben?

Ja, natürlich. Wissen Sie, das ist eine sehr erfreuliche Sache, dass unser Chor zu den besten Chören der Welt gehört. Wir werden zu wichtigen Festivals eingeladen, etwa nach Luzern oder zu den Salzburger Festspielen; das bedeutet, dass wir eine außerordentliche Gruppe sind. Und das ist für die Chorentwicklung eine absolut phantastische Sache. Aber ich muss auch sagen: Es ist schwierig, mit dem Chor auf Tournee zu sehen. Denn heutzutage kostet alles so viel Geld. Das ist ein ökonomisches Problem. Es hilft, einer der weltweit besten Chöre zu sein, aber außer unserem Orchester auch noch unseren Chor einzuladen ist für internationale Veranstaltern schwieriges Problem. Das begrenzt die internationale Tätigkeit des Chors. Aber wo es möglich ist, wird der Chor auch von anderen Orchestern eingeladen, und das ist wunderbar.

Der Chor hat in jüngster Zeit einige Auszeichnungen erhalten, etwa den ECHO Klassik als bestes Ensemble oder den Staatspreis für Musik. Welche Effekte hat das?

Eine Anerkennung ist immer sehr bequem, nicht wahr? Das hat immer einen sehr positiven Einfluss. Man darf sich aber nicht nur darüber freuen, sondern muss auch weiterarbeiten und die Qualität steigern.

Erhöhen Auszeichnungen auch den Druck und die Erwartungen des Publikums?

Natürlich, absolut. Das ist eine große Belastung, das ist ein großer Druck, denn man sehr hohe Qualität. Aber das ist eine gute Möglichkeit, sich zu mobilisieren und weiter zu arbeiten. Ich glaube, das ist sehr gut für ein Kollektiv. Die Sänger verstehen allmählich, warum sie so viel arbeiten und warum sie gut sind, und freuen sich darüber. Sie sind stolz und sie haben Optimismus, weiterzuarbeiten.

Beim Weiterarbeiten denkt man Gegenwart und Zukunft. Wie wichtig ist es, dass der Chor auch weiterhin zeitgenössische Kompositionen aufführt?

Ja, wissen Sie, das ist sehr wichtig! Wir können nicht in unserer Zeit leben, ohne zeitgenössische Musik aufzuführen. Das gehört zu unserem Beruf. Da gibt es Werke, die Sie besonders lieben, und dann sind das phantastische, sehr offene Aufführungen. Und es gibt Werke, die sie nur einmal aufführen, aber man muss jedes Werk sehr ernst nehmen und das Beste tun, um die beste Aufführung vorzubereiten und dabei die Qualität des Werks von der besten Seite zu zeigen. Man muss wirklich mit der Zeit gehen und darf sich nicht von zeitgenössischer Musik isolieren.

Jetzt steht das Jubiläumskonzert an – mit einem Opernprogramm, das für den BR-Chor eine Seltenheit ist. Ist das Ihre Überraschung zum Jubiläum?

Ich habe das nicht als Überraschung gedacht, sondern habe mir das als ein nicht so oft gesungenes Programm vorgestellt. Ich glaube, es wäre gut, wenn der Chor präsentiert, dass er auch das Opernrepertoire singen kann. Ich habe die besten und interessantesten Werke von verschiedenen Komponisten gewählt, damit wir das sehr breite Spektrum des Chorrepertoires zeigen können.

Also ist dieses Programm sowohl ein Geschenk für die Zuhörer als auch für die Sänger im Chor?

Absolut. Es soll interessant für die Chormitglieder sein, denn es ist bestimmt nicht das, was sie jede Woche oder jeden Monat machen.

Proben Sie das Programm dann besonders intensiv?

Ich weiß noch nicht, wie das wird. (lacht) Das kommt jetzt im April. Wir planen normale Proben und werden sehen, wie viele wir brauchen.

Also ist für Sie auch eine Überraschung dabei.

Für mich? Nein. Warum für mich?

Na, weil Sie noch nicht wissen, wie lange Sie für die Proben brauchen?

Ach, nein. Das ist doch keine Überraschung. Ich kann nur jetzt noch nicht sagen, in wie vielen Proben ich was probieren werde. Aber das ist nicht überraschend, weil ich mit diesem Chor jetzt schon fast 15 Jahren lang probiere. Ich habe (seufzt) damit Erfahrung.

Also, Sie kann man gar nicht mehr überraschen...

Natürlich kann man mich immer überraschen! (lacht) Das Leben ist so interessant, und immer es kommt etwas Neues, Interessantes. Natürlich können mich die Leute in jeder Minute überraschen!

Interview: Felicia Englmann


3