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Die Nürnberger Prozesse Angeklagte und Urteil

Stand: 17.05.2018 | Archiv

Zu den 24 Angeklagten vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg gehörten führende Vertreter des besiegten NS-Staats aus Politik, Militär und Wirtschaft.

Angeklagt

Hermann Göring

  • Großadmiral Karl Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und vom 1. bis zum 23.5.1945 Hitlers Nachfolger als Reichspräsident und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht
  • Hans Frank, Generalgouverneur im besetzten Polen
  • Wilhelm Frick, Reichsinnenminister (1933-1943) und Reichsprotektor in Böhmen und Mähren
  • Walther Funk, Reichswirtschaftsminister
  • Hermann Göring, Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe. Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter im Vorsitz der NSDAP (1933-1941)
  • Generaloberst Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabes
  • Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
  • Konstantin Freiherr von Neurath, Reichsaußenminister (1932-1938) und Reichsprotektor in Böhmen und Mähren (1939-1941)
  • Joachim von Ribbentrop, Reichsaußenminister
  • Alfred Rosenberg, NSDAP-Chefideologe, Herausgeber des NS-Kampfblatts "Völkischer Beobachter" und Reichsminister für die besetzten Ostgebiete
  • Fritz Sauckel, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz von Zwangsarbeitern
  • Baldur von Schirach, Reichsjugendführer und Gauleiter und Reichsstatthalter des Gaues Wien
  • Arthur Seyß-Inquart, Reichskommissar für die besetzten Niederlande
  • Albert Speer, Architekt Hitlers und Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion. Ernst Kaltenbrunner, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD)
  • Julius Streicher, Herausgeber des antisemitischen Blattes "Der Stürmer" und Gauleiter in Franken (1928-1940)

Martin Bormann

Drei der Angeklagten erschienen nicht vor Gericht: Robert Ley, Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Chef der "Deutschen Arbeitsfront", hatte sich vor Prozessbeginn das Leben genommen. Martin Bormann, Leiter der Parteikanzlei der NSDAP und "Sekretär des Führers", galt als verschollen. Den gesundheitlich angeschlagenen Industriellen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, angeklagt als Repräsentant deutscher Industrieunternehmen, die mit dem NS-Regime kooperiert und von ihm profitiert hatten, sah das Gericht als verhandlungsunfähig an und setzte das Verfahren gegen ihn aus.

Bei seinem Urteil unterschied das Gericht in Hinblick auf das Strafmaß: Speer und von Schirach wurden zu je 20 Jahren Gefängnishaft verurteilt, von Neurath zu 15 Jahren und Dönitz zu zehn Jahren Haft. Für Dönitz Vorgänger als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, lautete das Urteil lebenslange Haft, ebenso für Funk und Heß.

Freigesprochen wurden zur Empörung mancher: Hitlers "Steigbügelhalter" und Vizekanzler (1933-1934) Franz von Papen. Hans Fritzsche, Abteilungsleiter im Reichspropagandaministerium. Hjalmar Schacht, Reichsbankpräsident (1933-1939) und Reichswirtschaftsminister (1934-1937).

Alle übrigen elf Angeklagten - sowie Bormann, in Abwesenheit - wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Göring entzog sich der Vollstreckung der Strafe durch Selbstmord.

Zu verbrecherischen Organisationen erklärte der Internationale Militärgerichtshof die SS, Geheime Staatspolizei (Gestapo) und Sicherheitsdienst (SD) sowie das Korps der NSDAP-Führer.

Nachfolgeprozesse

Wegen des einsetzenden Kalten Krieges kam nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess kein gemeinsamer Prozess der Alliierten mehr zustande. Doch in den vier Besatzungszonen in Deutschland und den von der NS-Herrschaft befreiten Ländern fanden weitere Gerichtsverfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen statt.

Das Erbe von Nürnberg

Für große Aufmerksamkeit sorgten die zwölf Prozesse, in denen die Amerikaner zwischen 1946 und 1949 in Nürnberg Angehörige der Eliten des NS-Staats vor US-Militärgerichte stellten: Im Krupp-Prozess, dem IG Farben-Prozess und im Flick-Prozess untersuchten sie die Rolle führender Industrieller und Unternehmen im Nationalsozialismus. Zu den Anklagepunkten gehörten der Arbeitseinsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, die Bereicherung durch Enteignung jüdischen Vermögens, die Plünderung besetzter Gebiete und die finanzielle Unterstützung von NS-Organisationen.

Auch gegen hohe Regierungsbeamte des NS-Staats erhoben die Amerikaner Anklage: Im Milch-Prozess - benannt nach Staatsekretär Erhard Milch - und im Wilhelmstraßen-Prozess, in dem Angehörige des in der Berliner Wilhelmstraße ansässigen NS-Regierungsapparates vor Gericht standen. Die Anklage warf ihnen unter anderem Kriegsverbrechen vor, Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Ausplünderung besetzter Gebiete und Deportation zur Zwangsarbeit. Gegen ranghohe Militärs wurden zwei Prozesse geführt, sie hatten vor allem Geiselerschießungen, die Ermordung Kriegsgefangener und die Deportation und die Ermordung von Zivilisten zum Gegenstand.

In drei weiteren Verfahren standen führende Vertreter von SS und Polizei vor Gericht. Zu den Anklagepunkten zählten der Massenmord an den europäischen Juden und die Ermordung von etwa 500.000 Angehörigen der Zivilbevölkerung durch Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941. Im sogenannten Ärzte-Prozess mussten sich Ärzte unter anderem für medizinische Experimente an KZ-Häftlingen, Zwangssterilisationen und "Euthanasie"-Verbrechen verantworten. Ehemaligen Juristen des NS-Staats warf man in einem Prozess unter anderem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor sowie die Verschwörung zur Begehung dieser Verbrechen.

Mit den Nürnberger Prozessen begann die Aufklärung über das nationalsozialistische Regime. Für die Entwicklung des Völkerstrafrechts war der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg ein wegweisender Meilenstein. Die Vereinten Nationen bestätigten mit einer Resolution 1946 die mit dem Nürnberger Gerichtshof und seinem Urteil etablierten "Prinzipien des Völkerrechts" und 1948 verabschiedeten sie eine Konvention, die den Straftatbestand des Völkermords definierte. Zwar kam es auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die nicht mit den in Nürnberg etablierten Prinzipien vereinbar waren. Doch die Entwicklung, die zur Errichtung des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag führte, begann mit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess von 1945/46. Im Jahr 2003 nahm er seine Arbeit auf.


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