Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Mai 1515 Dürers Rhinozeros kommt nach Europa

Es stank, hatte Elefantenfüße, aber keinen Rüssel - was konnte das sein? Am 20. Mai 1515 legte im Hafen von Lissabon das erste Nashorn an, das Europa seit der Antike gesehen hatte. Unvergessen ist es bis heute - dank Albrecht Dürers berühmtem Holzschnitt.

Stand: 20.05.2011 | Archiv

20 Mai

Freitag, 20. Mai 2011, 09:50 Uhr

Autorin: Henrike Leonhardt

Sprecher: Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Lissabon 1515; 20. Mai, früh am Morgen. Wie ein Lauffeuer geht es durch die Stadt und treibt die Menschen zum Hafen ... Die "Nostra Senhora da Ajuda"! Zurück nach 20 Monaten Indienfahrt! Schon werden die Gewürzfässer und -ballen, edle Hölzer, indische Stoffe entladen, wird als Kostbarstes ein lebendes Geschenk für den König, Manuel I., den man den Glücklichen nennt, in Tuch gehüllt, an Land gezerrt. Da legt sich über die importierten Wohlgerüche von Myrrhe und Zimt und über den vertrauten Hafengestank der Geruch eines fremden Tieres. Ehrlich gesagt - es stinkt! Hat Elefantenfüße! Jedoch - ganz vorn, kein Rüssel zu erahnen ... eher ein Horn!

Einhorn?! Wie man dann in der Festung von Belèm das Geschenk auspackt, zeigt es sich: kein Einhorn! Doch unendlich kostbar auch dies: ein einhörniges indisches Panzernashorn. Fast ein Fabeltier, seit der Antike gab´s keins in Europa ... - hier rasch die zwei Versionen seiner Herkunft: Eine: Vasco da Gama, Portugiese, hatte gerade den Seeweg nach Indien gefunden, was Portugal in einer veränderten Welt zum Zentrum des Welthandels machte, und erbat in Kalikut vom Maharadscha Zamorin für seinen König Manuel, der ja sonst alles hatte, ein Einhorn - hier sollte so etwas noch zu finden sein. Einhorn? Ja, Tier mit ein Horn! du kapieren? Bis aber so ein Jungtier gefangen und aufgezogen war, nur ein zahmes kam als Geschenk in Frage, vergingen Jahre.

Vasco da Gama war lange wieder daheim, als endlich das georderte „Einhorn“ in Lissabon eintraf. Ein interkulturelles Missverständnis: kein Unicornis fabulosus, sondern ein Rhinoceros unicornis!

Herkunftsversion zwei: Um den skrupel- wie gnadenlos agierenden portugiesischen Generalgouverneur Albuquerque gnädig, gnädiger, zu stimmen, machte ihm der westindische Sultan Muzafar ein „Gomba“, ein Panzernashorn, zum Geschenk. Der Conquistadore metzelte weiter, erkannte aber den bestechenden Wert und schickte es seinem König Manuel nach Portugal, wo es also, nach beiden Versionen, am 20. Mai 1515 eintraf und dann skizziert wurde. Es war aber damals an der Zeit, die portugiesische Macht- und Kolonialpolitik als gottgewollt bestätigen und absegnen zu lassen, so ließ Manuel das exquisite Tier bald erneut einschiffen - als diplomatisches Geschenk für Papst Leo X. Jedoch versank das Schiff mit Mann, Maus und Rhinozeros in einer stürmischen Januarnacht 1516 vor La Spezia.

Da wäre wohl das Nashorn versunken in der Geschichte wie in den Fluten, hätten nicht Kaufleute die Federskizze des mährischen Druckers Ferdinand und eine Beschreibung nach Nürnberg gebracht. Und so, wenn es auch gestorben ist, lebet es noch heute: Dürers Rhinozeros. Indes, beim Übertragen von der Skizze auf seinen Holzschnitt, hat Meister Dürer - einen gezeichneten Knorpel als Zweithorn missdeutend - dem, seinem, Nashorn ein keckes Nackenhörnchen aufgesetzt. Und das setzte sich fest. Erst 200 Jahre später kam wieder so ein Wundertier nach Europa. Man hat es bestaunt, hat es nachmodelliert. Aber da fehlte was. Also wurde dem Abbild noch ein fein gedrehtes Spitztütchen auf den Nacken gedrückt. Perfekt! Nicht berühren!


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