Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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30. Dezember 1925 Susanne Erichsen geboren, erste Miss Germany

Es sprach zunächst überhaupt nichts dafür, dass Susanne Erichsen die erste Miss Germany werden würde. Schon bei ihrer Geburt am 30. Dezember 1925 machte sich die Hebamme über ihr Aussehen lustig, und später ging es todernst weiter - in russischen Lagern der Nachkriegszeit.

Stand: 30.12.2010 | Archiv

31 Mai

Dienstag, 31. Mai 2011

Autor(in): Susanne Tölke

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

"Na, wo haben Sie denn die kleine Chinesin her?" fragte der Kinderarzt im Klinikum Steglitz, als er das Baby zu Gesicht bekam. Die junge Mutter war gekränkt, denn ihrer Meinung nach war das Töchterchen Susanne, geboren am 30. Dezember 1925, das schönste Kind auf der Säuglingsstation. Zwanzig Jahre später zeigte sich, dass sie recht gehabt hatte. Susanne, die gerade die Ausbildung zur Filmcutterin in Babelsberg machte, war - mit ihren schwarzen Haaren und ihren mandelförmigen Augen - tatsächlich eine bildschöne junge Frau geworden.

Das fand auch der norwegische Ingenieur Sven Erichsen, der sie gleich nach Kriegsende in Berlin kennenlernte. Er versprach ihr, sie aus dem zerbombten Deutschland mit nach Norwegen zu nehmen, und so heiratete sie ihn vier Wochen später, im Juni 1945. Am nächsten Tag schon standen die Russen vor der Tür: Abtransport aller Ausländer aus dem russischen Sektor. Sven Erichsen und seine Frau sollten mit einer Gruppe von Journalisten und Diplomaten nach Moskau reisen und von dort nach Norwegen. Vertrauensvoll ging Susanne mit, nicht ahnend, was ihr bevorstand. In Moskau wurden ihr Mann und sie plötzlich weiterbefördert ins Lager von Krassnogorsk, in dem auch die beiden Stalingradgeneräle Paulus und Seydlitz gefangen gehalten wurden. Von ihrem Mann wurde die junge Frau getrennt, sie hat nie wieder von ihm gehört.

Nach sechs Monaten kam ein Schreiben, sie sei versehentlich verhaftet worden, sie könne nach Deutschland zurückgeschickt werden. Stattdessen aber landete sie im nächsten Lager. In einem Bergwerk in Stalinogorsk schleppte sie fast zwei Jahre lang Steine und Zement. Ende 1947 wurde sie ebenso unvermittelt entlassen, wie man sie zuvor verhaftet hatte. Sie fuhr mit einem Transport deutscher Kriegsgefangener nach Hause und ließ sich von Muttern wieder hochpäppeln. Als die Ödeme weg waren, das Wasser aus den Beinen verschwunden und die Herzmuskelschwäche kuriert, bewarb sie sich als Cutterin bei der Bavaria in Geiselgasteig. Bei einem Spaziergang auf der Maximilianstraße wurde sie von der Modefotografin Lore Wolf angesprochen. "Ich mache gerade eine Serie mit Hüten. Hätten Sie Lust, Modell zu stehen?"

Susanne Erichsen hatte Lust, und dann ging alles ganz schnell. Als sie nach Berlin zurückkam, lagen schon Anfragen der bekannten Couturiers vor, 1950 gewann sie die erste Wahl zur Miss Germany, 1952 ging sie mit dem offiziellen Titel "Botschafterin der deutschen Mode" nach Amerika. Das Magazin Life widmete ihr vier Seiten. Die elegante dunkelhaarige Schönheit mit dem schmalen Gesicht, den feinen Wangenknochen und den mandelförmigen Augen entsprach so wenig dem Klischee vom blonden German Girl mit Zöpfen, der NS-Maid des Dritten Reichs, dass die amerikanischen Zeitungen sich gar nicht lassen konnten vor Begeisterung über das Fräuleinwunder. Nach elf Jahren Amerika hatte das Fräuleinwunder aber die Nase voll vom Laufsteg, kehrte nach Berlin zurück und gründete eine Mannequinschule. Als die noch immer schöne 75jährige von einem Schlaganfall getroffen wurde, der sie wenig später das Leben kostete, meinte sie: "Das ist die späte Rechnung für die vierzig Zigaretten, die ich täglich rauchen musste, um den Hunger zu betäuben. Ich hab das Rauchen aufgehört und den Beruf gewechselt, aber beides ein bisschen zu spät".


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