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30 Jahre Fränkisches Seenland Wie die Donau nach Franken kam

Das Fränkische Seenland sorgt nicht nur für die Wasserversorgung im vergleichsweise trockenen Norden Bayerns, sondern auch für einen tiefgreifenden Strukturwandel. Eröffnet wurde das Seenland 1986, die Weichen wurden lange zuvor gestellt.

Von: Wolfgang Suk

Stand: 10.07.2016 | Archiv

Luftbild vom Rothsee | Bild: Nürnberg Luftbild, Hajo Dietz

16. Juli 1970. Ernst Lechner, CSU-Abgeordneter aus Gunzenhausen, verbindet mit diesem Tag einen seiner größten politischen Erfolge, wie er es später selbst formuliert. In der letzten Sitzung vor der Sommerpause hat der Bayerische Landtag einstimmig Lechners Antrag für das "Neues Fränkisches Seenland" beschlossen – auch wenn der Begriff im Antrag Lechners nicht vorkommt. Eine wahrhaftiges Jahrhundertprojekt mit weitreichenden Folgen für die folgenden Jahrzehnte.

Beschlusstext des Landtags zum Fränkischen Seenland

Der Bayerische Landtag hat über den Antrag des Abgeordneten Lechner und anderen (CSU) betreffend Bau des Brombachspeichers, Rothspeichers und Altmühlspeichers in seiner heutigen öffentlichen Sitzung beraten und beschlossen:

  • Die zur Überleitung von Altmühl- und Donauwasser in das Rednitz-Main-Gebiet erforderlichen Bauwerke nach dem in der Studie aufgezeigten Zeitplan zu errichten.
  • Die für den baldigen Bau des Überleitungssystemes erforderlichen finanziellen, organisatorischen und technischen Voraussetzungen zu schaffen und
  • Dafür Sorge zu tragen, dass die Gewässer im Überleitungssystem für die Erholung der Bevölkerung erschlossen und die Ufergrundstücke, insbesondere an den Stauseen, in das Eigentum der öffentlichen Hand überführt werden, um den freien Zugang und den Gemeingebrauch sicherzustellen.

München, 16.Juli 1970, der Präsident, gezeichnet Hanauer

In den Jahren danach kommt es zu erheblichen Eingriffen in die Landschaft des südlichen und westlichen Mittelfrankens. Die Region, über Jahrhunderte von Bauern bewirtschaftet, wird völlig umgestaltet.

Daneben entsteht eine völlig neue Tourismusregion. Die Grundlage für das alles: die Altmühl, ein eher beschaulicher Fluss, der sich aus Nähe von Rothenburg ob der Tauber kommend durch das westliche Mittelfranken schlängelt.

Karte: Das Fränkische Seenland

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Karte: Das Fränkische Seenland

Die Seen des Fränkischen Seenlandes

Großer Brombachsee

Fläche: 8,7 km²
Einweihung: 2000
maximale Wassertiefe : 32,5 Meter

Altmühlsee

Fläche: 4,5 km²
Einweihung: 1986
max. Wassertiefe: 3 Meter

Kleiner Brombachsee

Fläche: 2,5 km²
Einweihung: 1986
max. Wassertiefe: 13,4 Meter

Rothsee

Fläche: 1,6 km²
Einweihung: 1993
max. Wassertiefe: 15,4 Meter

Igelsbachsee

Fläche: 0,87 km²
Einweihung: 1986
max. Wassertiefe: 11 Meter

Hahnenkammsee

Fläche: 0,23 km²
Einweihung: 1977
max. Wassertiefe: 4,5 Meter

Dennenloher See

Fläche: 0,2 km²
Einweihung: 1977
max. Wassertiefe: 2,4 Meter

Bei Starkregen oder nach der Schneeschmelze breitet sich der Fluss gerne aus und überschwemmt die Wiesen und Äcker in seinem Einzugsbereich. Das Wasser wird im Seenland aufgefangen und damit Hochwasserschäden im Altmühltal verringert, erklärt Thomas Liepold vom Wasserwirtschaftsamt Ansbach. Besonders Landwirten werden so Schäden erspart.

Wasser strömt aus dem Brombachsee

Einer dieser Hochwasserspeicher ist der Altmühlsee südlich von Ornbau und Muhr, das seit 1986 deshalb auch Muhr am See heißt. Rund zwei bis zweieinhalb Meter, tiefer ist der Altmühlsee nicht. Für Radler, Surfer und Badegäste ist er ein beliebtes Ziel, da – und das ist keinesfalls üblich für viele Seen in Bayern – für alle frei zugänglich. Keine Zäune, kein Schilderwald mit den Hinweisen auf Privatbesitz verhindern den Gang ans Wasser. Dafür hat der Freistaat großflächig Land in öffenstlichen besitz überführt, aufgekauft oder neu geordnet.

Die Vogelinsel im Altmühlsee

Eine Ausnahme davon ist die Vogelinsel. Seit dreißig Jahren exisitiert damit am Altmühlsee neben den touristischen Angeboten eines der wichtigsten Vogelschutzgebiete in ganz Deutschland. Wegen seiner Lage machen hier sehr viele Zugvögel auf ihrem Weg in den Süden oder zurück Rast. Ein Schutzgebiet, das erst durch den künstlichen Altmühlsee überhaupt möglich geworden ist. Heute können dort über 300 verschiedene Vogelarten beobachtet werden.

"Der See hat 450 Hektar insgesamt und knapp die Hälfte belegt die Vogelinsel. Das ist allerdings keine Insel mit einer einheitlichen Fläche, sondern viele Inselchen. An die fünfundsiebzig sind es insgesamt."

Verena Auernhammer, Leiterin der Umweltstation des Landesbunds für Vogelschutz am Altmühlsee

Verlauf der Europäischen Hauptwasserscheide

Der Altmühlsee ist für das Altmühlwasser allerdings nur eine Durchgangsstation. Denn wenn der See gefüllt ist, fließt es bei Gunzenhausen über den sogenannten Überleiter in Richtung Süden-Osten. Über ein ferngesteuertes Wehr schießt das Wasser durch einen fünf Kilometer langen Tunnel. Der führt die Altmühl unter der Europäischen Wasserscheide hinweg zum nächsten Wasserspeicher, dem Kleinen Brombachsee. 1986 im Sommer wurden die Arbeiten an diesem Projekt fertiggestellt. Ein Meilenstein für das Gesamtprojekt der Wasserüberleitung von Altmühl- und Donauwasser ins Maingebiet.

"Die Landschaft wird mit dem Altmühlsee noch schöner werden als sie ohnehin schon ist. Menschenwerk und Natur harmonieren in seltener Eintracht."

Franz-Josef Strauß (CSU), damaliger Ministerpräsident von Bayern, bei der Einweihung des Seenlandes 1986

Neben dem Kleinen Brombachsee und dem benachbarten Igelsbachsee wurde zu dieser Zeit bereits der Große Brombachsee geplant. Zusammen konnten sie soviel Wasser fassen wie der Tegernsee und der Königssee zusammen. Neun Quadratkilometer Land verschwanden unter Wasser und damit zehn Mühlen. Ganze Gemeinden bekamen dadurch ein völlig neues Gesicht. Viele Menschen mussten ihre Heimat verlassen, die teils Jahrhunderte von ihrer Familie bewirtschaftet worden war. Es gab einen finanzielle Entschädigung, die aber niemanden reich machte.

Der Damm des Großen Brombachsees

"Früher waren einmal die Mühlen dort unten und Äcker, Wald und Landwirtschaft. Das ist im Zuge des Seebaues alles überflutet worden. Die Müller sind abgelöst worden, die haben ihre Gebäude verlassen. Die haben sich woanders niedergelassen."

Fritz Walter, Altbürgermeister von Absberg

So weit war es allerdings erst mehr als zwanzig Jahre nach dem Landtagsbeschluss von 1970. Um den gut dreißig Meter tiefen Brombachsee anzustauen, waren enorme Bauwerke nötig. Bei Allmannsdorf schütteten die Bagger dazu einen 1,7 Kilometer langen und 36 Meter hohen Erddamm auf, um das Brombachtal abzuschließen. Trotzdem gab es Probleme: in zwei Orten am See hat der enorme Wasserdruck das Grundwasser in etlichen Hauskeller steigen lassen. Erst durch eine Drainage konnte dieses Problem gelöst werden.

Gegner des Fränkischen Seenlands

Landesbund für Vogelschutz

Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) hat in den 70er-Jahren gegen den Bau des Seenlands gekämpft. Die Naturschützer waren aber von Beginn an chancenlos: Vor Beginn der Bauarbeiten seien die Verbände nicht einbezogen worden, erinnert sich Andreas von Lindeiner, Artenschutzreferent beim LBV. Inzwischen habe man sich aber mit den künstlichen Wasserflächen arrangiert. Die Seen hätten eine spannende Entwicklung durchgemacht, insbesondere für Vögel sei wertvoller Lebensraum geschaffen worden. "Die strenge Zonierung in Freizeit- und Rückzugsraum ist vorbildlich gelungen", lobt von Lindeiner die Trennung von Stränden für Badegäste und Lebensraum für seltene Arten.

Bund Naturschutz

Der Bund Naturschutz (BN) wettert auch heute noch gegen das Seenland. "Es war ein Fehler, das zu machen", sagt Tom Konopka, Referent für Mittel- und Oberfranken des BN. In den 70er-Jahren klagten die Naturschützer vor allem, dass das Seenland nur Wasser für Industrie und Kraftwerke liefern sollte, heute trauert der BN den verlorenen Flächen hinterher. Außerdem könnten durch die Überleitung von Donauwasser nach Franken neue Tierarten einwandern. Die Veränderungen im Ökosystem seien nicht absehbar.

Grundbesitzer

Der Bauernverband hat sich in den 70er-Jahren insbesondere gegen den ungeheuren Flächenverbrauch ausgesprochen. So werde Landwirten die Existenzgrundlage entzogen. Noch härter traf es allerdings die Bewohner von alten Mühlen in den Flusstälern. Allein im Brombachtal mussten elf Mühlenbesitzer ihr Zuhause räumen. Einige weigerten sich lange: Der Eigentümer der Langweidmühle etwa zog erst aus, als bereits mit der Flutung des Sees begonnen worden war.

Anwohner

Auch nachträglich haben die unnatürlichen Wasserflächen für Probleme in der Region gesorgt. Die Seen sind nicht abgedichtet, weswegen permanent Wasser im Untergrund versickert und den Grundwasserspiegel anhebt. In Allmannsdorf, direkt neben der Staumauer, aber auch in Veitserlbach und St. Veit, im Nachbartal des Großen Brombachsees, stand plötzlich Wasser in einzelnen Kellerräumen. Insbesondere lokale Tageszeitungen berichteten ausführlich über diese Probleme. Während diese Vorfälle in Allmannsdorf schnell beseitigt waren, mussten in den anderen Ortschaften großflächig Dreinagen verlegt werden, um das überschüssige Grundwasser abzuleiten. Alle Gegenmaßnahmen zusammen haben rund sechs Millionen Euro gekostet.

Neben allen Probleme erwuchsen durch die Seen aber auch neue Chancen für das "Armenhaus Bayerns", wie Landtagsabgeordneter Ernst Lechner seine Heimatregion genannt hatte. Die Landwirtschaft lohnte sich immer weniger, die Bevölkerung wanderte ab. Um die bäuerlich geprägte Landschaft zu einer Tourismusregion zu entwickeln, wurde eine eigene Beratungsstelle für die Landwirte gegründet, die Land für die Seen abgeben mussten.

In vielen Fällen wurden aus Bauern Ferienhofbetreiber. Ihre Anwesen sind heute die wichtigste Säule des Seenlandtourismus. Vor dem Bau der Seen konnte die Region knapp 300.000 Gästeübernachtungen verbuchen. Dreißig Jahre später schätzt Seenland-Tourismus-Chef Hans-Dieter Niederprüm die Zahl der Übernachtungen auf etwa 1,5 bis 1,6 Millionen. 200 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet der Seenlandtourismus im Jahr, über 3.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Seenlandtourismus ab.

Wasserleitungen und Speicherseen in Franken

Trotzdem: Der eigentliche Zweck des Seenlands ist die Überleitung von Wasser aus dem wasserreichen Süden in den Norden des Freistaats. Das wichtigste Glied in dieser Überleitungskette ging erst vor knapp 25 Jahren in Betrieb. Seitdem wird Wasser vom Main-Donau-Kanal in das Regnitz-Main-Gebiet geleitet. Allerdings wird nur in ganz trockenen Zeiten zusätzlich Donauwasser von Kehlheim im Süden nach Norden gepumpt.

"Wir Franken sind ja sehr bescheidene Leute. Das Wasser, das wir hier in Oberbayern klauen, das macht nur einen sehr geringen Teil des Abflusses  aus. Wenn man‘s übers Jahr sieht, dann entnehmen wir der Donau etwa 1 Prozent der Abflussmenge."

Thomas Liepold, Wasserwirtschaftsamt Ansbach

Wasser wird in den Rothsee gepumpt

Ein kleiner Tropfen für die Donau, aber ein gewaltiger Erfolg für das Fränkische Seenland – für das ganze Landstriche umgestaltet und riesige Flächen geflutet wurden, und das alles mit lediglich fünf Enteignungen kleinerer Flächen. Könnte man so ein Mammutprojekt nach Stuttgart21 heute noch umsetzen? Ernst Lechner, der Vater des Seenlandes, hatte dazu kurz vor seinem Tod im Jahr 2013 eine klare Meinung.

"Heute sind die Verteilungskämpfe weitaus stärker. Und es würde sich auch das Protestpotential formieren. Das ist völlig klar. Und ich glaube nicht, dass das Projekt heute noch durchführbar wäre."

Ernst Lechner


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