Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Licht ins Dunkel Nürnbergs Bunker heute

Wegen der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg ließ Nürnberg eilig Luftschutzbunker bauen. Im Kalten Krieg sollte die Bevölkerung dann mit aufgerüsteten ABC-Bunkern vor Atombomben geschützt werden. Und heute? Was wurde aus den Bunkern?

Von: Christian Schiele

Stand: 10.03.2020 | Archiv

Der 2. Januar 1945. Es ist kalt in Nürnberg, minus acht Grad. Auf den Dächern und Straßen liegt Schnee. Gegen 18.30 Uhr klingelt in der Wohnung der Familie Benz das Telefon. Familie Benz – Vater Mutter, Großmutter, zwei Söhne – wohnt über dem Grübelbunker in der Nürnberger Innenstadt. Hermann Benz ist Bunkerwart und wenn das Telefon klingelt, hat er es eilig. Adolf Benz, einer der beiden Söhne, weiß heute noch genau, was dann zu tun war.

"Wir bekamen über Telefon Luftwarnungen, da gab es die Luftwarnung 30, dann waren die feindlichen Flugzeuge 30 Minuten von Nürnberg entfernt. Wir hatten auf dem Bunker selbst eine Sirene, die auch von uns bedient werden musste. Bei Luftgefahr 30 haben wir die Sirene per Hand bedient. Das hat der gemacht, der eben gerade in der Wohnung war, ich also auch."

Adolf Benz, Sohn des ehemaligen Bunkerwarts des Grübelbunkers

Um 18.33 Uhr heult der Fliegeralarm über den Dächern Nürnbergs, zum vierten Mal an diesem Tag. Das war das Zeichen für jeden Nürnberger, so schnell wie möglich Schutz zu suchen, im nächstgelegenen Bunker. Adolf Benz rennt über die Treppe aus seiner Wohnung nach unten. Er muss den Bunker aufsperren und die Lichter einschalten. In den zwei Stockwerken unter und den zwei über der Erde.

Eine Million Brandbomben und 6.000 Sprengbomben

Die Menschen drängen durch die zwei Eingänge in den Grübelbunker. Sie fliehen an diesem 2. Januar 1945 vor rund 1.000 britischen Fliegern, die kurze Zeit später ihr Ziel erreichen. Und eine Million Brandbomben sowie 6.000 Sprengbomben über Nürnberg abwerfen.

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360-Grad-Video: Der ABC-Bunker unterm Hauptbahnhof Nürnberg | Bild: Bayerischer Rundfunk (via YouTube)

360-Grad-Video: Der ABC-Bunker unterm Hauptbahnhof Nürnberg

Meterdicke Mauern als einziger Schutz vor den Bomben

Schnell muss es gehen, als die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges ihre Luftangriffe auf Deutschland starten. Luftschutzbunker müssen her. Die meterdicken Mauern sind oft der einzige Schutz vor den Bomben und dem Feuersturm, der hinterher wütet.

Nürnberg in Schutt und Asche

So wie am 2. Januar 1945 – dem verheerendsten Fliegerangriff, den Nürnberg im Zweiten Weltkrieg erlebt. Familie Benz überlebt ihn. Doch circa 1.800 Menschen sterben. 3.333 sind verletzt und 100.000 obdachlos. Die Nürnberger Altstadt liegt größtenteils in Schutt und Asche. Der Grübelbunker aber steht noch.

Der Grübelbunker damals

Gebaut wird der Hochbunker 1941/42, mitten in der Nürnberger Altstadt. In dem Luftschutzraum haben mindestens 622 Menschen Platz. Bei Angriffen wie dem am 2. Januar 1945 drängen aber viel mehr Menschen hinein. Und Adolf Benz, der Sohn des Bunkerwarts, weiß, wie er dem ohrenbetäubenden Lärm des Bombenhagels entgehen kann.

"Mein Lieblingsplatz im Bunker war das Notstromaggregat. Das war ein Schiffsdiesel, der einen furchtbaren Lärm machte und da bekam man nicht viel mit, wenn die Bomben ringsum eingeschlagen sind. Man spürte da nur eine Erschütterung, einen Krach hörte man da nimmer, der wurde von dem Dieselaggregat übertönt. Und das war mein Lieblingsplatz."

Adolf Benz, Sohn des ehemaligen Bunkerwarts des Grübelbunkers

Der Grübelbunker heute – ein ganz besonderes Zuhause

Das Gebäude zwischen Grübelstraße und Oberer Talgasse in der Nürnberger  Innenstadt sieht heute gar nicht mehr aus wie ein Bunker. An der Sandsteinfassade erinnert ein kleines Schild daran, dass hier zwischen 1942 und 1945 Menschen um ihr Leben bangten – in einem der ersten Hochbunker, die in Nürnberg gebaut wurden. Damals war es dem Hochbauamt noch wichtig, dass die Bunker ins Stadtbild passen – weshalb der Betonbunker mit einer Sandsteinfassade verkleidet wurde. Heute bietet der ehemalige Bunker zehn Menschen ein ganz besonderes Zuhause.

Alle zwei Wochen treffen sich die Bewohner des Grübelbunkers zum gemeinsamen Frühstück im Souterrain. 19 Jahre wohnen die meisten nun schon zusammen – weil sie nicht alleine alt werden wollen, wie Barbara Stoll erzählt.

"Wir haben bei unseren Müttern gesehen, wie es ist, wenn man alt und einsam wird, dann auch vereinsamt, sowohl in einem Heim als auch im eigenen Häuschen zu leben, was das heißt im hohen Alter. Und haben sehr früh uns schon überlegt, es muss doch Alternativen dazu geben, zu dieser Zwangsläufigkeit, dann ins Heim zu gehen. Und da hatten wir eben diese Vorstellung: Man muss doch auch im Alter zusammen wohnen können."

Barbara Stoll

Die Idee zum Wohnprojekt Grübelbunker ist vor vielen Jahren bei einem Urlaub mit Freunden entstanden. Renate Rieger war die treibende Kraft. Schnell gewannen sie und ihr Mann Atte Freunde für ihre Idee. Doch die Suche nach einem geeigneten Haus dauerte Jahre.

"Wir hatten bestimmt zwei Jahre lang immer wieder Häuser angeguckt, die wir umbauen wollten für so eine Hausgemeinschaft und haben nichts gefunden. Und dann bin ich hier mal vorbeigelaufen und hab den Bunker wieder gesehen, den ich jeden Tag auf meinem Schulweg gesehen hatte und hab gedacht: Der sieht ja immer noch so aus wie damals, da ist ja überhaupt nichts los."

Renate Rieger

Den Bunker gab's geschenkt

Schließlich kauften die Riegers der Stadt das Grundstück ab. Den Bunker darauf haben sie geschenkt bekommen. Die Stadt war froh, ihn los zu sein, sagt Renate Rieger. Ihr Mann, von Beruf Bauingenieur, begann mit dem Umbau. Doch ihre künftigen Bunkermitbewohner waren erst einmal skeptisch – wie das Ehepaar Ortlieb.

"Meine Nichte, die war damals ein kleines Mädchen, hat gehört, die Tante Moni zieht in einen Bunker und war ganz entsetzt und hat gesagt: Ja wohnt die denn dann unter der Erde?"

Monika Ortlieb

"Meine Frau hat mir das Objekt gezeigt und der Bunker hat früher wirklich grässlich ausgesehen, wie ein Turm, es waren kleine Schlitze drin, es war innen kein Licht. Da hab ich meine Frau gefragt, ziehen wir in eine Höhle oder was soll das?"

Hermann Ortlieb

Doch davon ließ sich Atte Rieger nicht abschrecken. Knapp zwei Jahre dauerte es, bis auf fünf Etagen barrierefreie, lichtdurchflutete Drei- und Vierzimmer-Wohnungen mit Balkonen, ein Aufzug und ein Gemeinschaftstrakt mit Gästewohnung und Sauna entstanden waren. Und doch wird den sechs Senioren, die zwischen 74 und 85 Jahre alt sind, immer wieder bewusst, dass sie in einem Bunker wohnen, sagt Barbara Dietzfelbinger.

"Eins bewegt mich immer wieder, wenn ich in den Keller runter gehe. Da ist die alte Treppe noch da, die ist schon angefressen, die bröckelt an manchen Stellen. Und da stell ich mir immer vor, wie die Leute hier in ihrer Angst in dem Haus waren und da die Treppen rauf und runter sind. Das fällt mir sehr oft ein."

Barbara Dietzfelbinger

Statt mit Angst füllen die Bewohner den Grübelbunker heute mit Leben. Drei Bunkerbewohner sind inzwischen gestorben, eine weitere ist ausgezogen. Dafür sind vier neue nachgekommen. Als es seinem inzwischen verstorbenen Vater Atte Rieger zunehmend schlechter ging, ist Schorsch Rieger eingezogen. Um in der Nähe zu sein – und um zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen das Projekt Grübelbunker im Sinne seiner Eltern weiterzuführen. Und die funktionierende Hausgemeinschaft ist nicht der einzige Vorteil an dem ehemaligen Bunker, sagt Schorsch Rieger. Ihm haben es auch die dicken Mauern angetan.

"Ich profitiere persönlich davon, weil ich Schlagzeug spiele und unten in dem zweiten Kellergeschoss einen Raum habe, aus dem man eigentlich fast nichts hört. Und da also auch üben kann, ohne dass ich die Mitbewohner belästige."

Schorsch Rieger

Familie Benz zieht in den Bunker

Ganz anderen, ohrenbetäubenden Lärm bekommt Adolf Benz zu hören, am 2. Januar 1945 im Grübelbunker. Der Sohn des Bunkerwarts erinnert sich noch genau.

"Also bei dem Angriff am 2. Januar ist eine der ersten Bomben neben dem Bunker eingeschlagen, in dem heutigen Garten der Bunkerbewohner, und hat einen Riesenkrater gerissen. Durch diese Erschütterung ist an der Wand zum Schießgraben hin innerhalb des Bunkers der Putz abgeplatzt."

Adolf Benz, Sohn des ehemaligen Bunkerwarts des Grübelbunkers

Der Bunker bleibt stehen. Doch die Wohnung des Bunkerwarts, auf dem Dach des Grübelbunkers, ist nach dem Angriff zerstört. Familie Benz zieht in den Bunker.

"Wir hatten ja in dem Bunker ein Zimmer und da waren dreigeschössige, eiserne Bettgestelle und ein Tisch und ein paar Stühle und da haben wir dann gehaust."

Adolf Benz, Sohn des ehemaligen Bunkerwarts des Grübelbunkers

Bunkerbau nach dem Luftschutz-Führerprogramm

Als 1939 der Krieg beginnt, gibt es in Nürnberg noch so gut wie keine öffentlichen Luftschutzräume. Das ändert sich im Oktober 1940, mit dem Luftschutz-Führerprogramm. In der Folge entstehen in der Stadt 23 Bunker für die Zivilbevölkerung – 15 Hochbunker und acht Tiefbunker. Ausgelegt sind sie für ingesamt 23.000 Menschen. Doch bei Luftangriffen drängen sich dreimal so viele Nürnberger in die Bunker.

Der Bleiweißbunker damals

Der Hochbunker bietet Platz für 1.100 Menschen. Erbaut wird er 1942 in der Nürnberger Südstadt, im Stadtteil Bleiweiß, in der Nähe von MAN und Siemens. Ums Eck wohnt Friederike Oberster, bei einer Tante. Das Schlimmste am Krieg ist für sie, nicht eine Nacht durchschlafen zu können. 

"Wir wurden nicht gänzlich ausgezogen, sondern mussten mit Unterwäsche schlafen. Nur die obersten Sachen konnte man ausziehen, dass man schnell wieder angezogen war, um dann schnell in den Keller zu gehen oder auch in den Bunker. Und am 2. Januar war dann der Fliegerangriff und da haben wir Zuflucht gesucht im Bleiweißbunker. Ich weiß bloß, dass wir unten reingegangen sind, und da waren ganz viele Menschen und wir haben uns eine Ecke gesucht, wo man sich aufhalten konnte. Aber das war sehr spartanisch. Und man hat ja nur das Nötigste bei sich gehabt. Ich hab meine Puppe mitgenommen, das war für mich wichtig. Meine Schwester hat nichts dabei gehabt – und das war dann fort."

Friederike Oberster, Zeitzeugin

Der Bleiweißbunker übersteht den Angriff. Das Haus der Tante, in dem Friederike Oberster wohnt, nicht.

"Da waren die Hüllen gestanden, und innen hat's bis runter gebrannt. Und meine Tante hat glaub ich im dritten Stock gewohnt, da war nichts mehr da. Dann mussten wir schauen, wo man wieder hin geht."

Friederike Oberster, Zeitzeugin

Der Bleiweißbunker heute

Wo die Kinder früher Angst hatten, sollen sie bald lachen und spielen. Denn in den Bleiweißbunker zieht nun ein Kinderhort ein. Zwei Meter dick sind die Mauern des Bleiweißbunkers. Keine Öffnung, nirgendwo. 76 Jahre lang war das so – bis jetzt. Der tonnenschwere Stahlbeton soll metergroßen Fenstern weichen. Wie das funktioniert, erklärt Architekt Patrick Schreiner.

"Das System nennt sich Diamantsägen. Also es wird erstmal jeweils ein Loch gebohrt, durch das dann ein Seil eingefädelt wird und das ist ähnlich wie im Granitabbau oder im Marmorabbau, da wird das Diamantseil dann gespannt und das mahlt dann diese Schnitte heraus."

Patrick Schreiner, Architekt

Tonnenschwere Quader müssen Fenstern weichen

Tagelang haben die Bauarbeiter durch die Betonmauern gesägt und Zentimeter für Zentimeter Quader ausgeschnitten. Noch stecken diese Quader fest, doch nun sollen sie raus aus der Mauer. Kein leichtes Unterfangen, sagt Bauherr Peter Schüttler, denn jeder der Quader wiegt elf Tonnen. Und solche Brocken kann er nicht einfach aus dem vierten Stock nach unten werfen. 

"Wir haben also 60 Autoreifen organisiert – 40 Lkw-Reifen und 20 normale – haben dann eineinhalb Meter Sand in der Höhe aufgeschüttet und diese Reifen mit eingebaut. Das ist wie ein Kissen und da fallen die Quader wunderbar runter und es passiert nichts."

Peter Schüttler, Bauherr

Erstmals fällt Licht ins Innere des Bunkers

Ein einfaches Konzept, das aber die umliegenden Gebäude vor der Wucht des Aufpralls schützt. Und dann ist es so weit. Doch es ist kaum zu hören, wie der tonnenschwere Brocken auf das Bett aus Sand und Reifen prallt. Und doch ist es ein erhellender Moment: Zum ersten Mal überhaupt fällt Tageslicht ins Innere des Bunkers. Bei dem ganzen Aufwand – wäre es da nicht einfacher gewesen, den Bunker abzureißen? Nein, sagt Architekt Patrick Schreiner. Denn das wäre noch viel teurer als der Umbau. 

"Alleine dieses Betonschneiden, das wir hier gerade betreiben für diese paar Löcher, da reden wir von 700.000 Euro. Den Bunker abzureißen würde etwa das Fünffache kosten und damit ist die Diskussion am Ende. Also einen Bunker kriegt man nicht wieder weg."

Patrick Schreiner, Architekt

Der Bleiweißbunker bleibt also stehen – wird aber massiv umgebaut. 2012 hat Peter Schüttler den ehemaligen Bunker gekauft – und wollte Luxuswohnungen hineinbauen. Doch die Stadt schrieb dem Bauherrn eine sozialverträgliche Nutzung vor. Für den Kinderhort investiert Peter Schüttler knapp vier Millionen Euro. Eine sinnvolle Anlage, findet Architekt Patrick Schreiner. Im Bleiweißbunker können ab dem Jahr 2019 87 Kinder betreut werden.

"Ich bin aus einer Generation, die mit dem Krieg nichts zu tun hatte, ich hab ihn nicht verantwortet. Was bringt es, diese Gebäude jetzt stehenzulassen? Wir haben hier gerade in der Südstadt in Nürnberg einen ganz großen Druck nach Plätzen, nach Orten, wo Kinder verweilen können, wo Kinder bleiben können, sei es in Kindergärten oder Kinderhorten."

Patrick Schreiner, Architekt

In Beton gegossene Mahnmale

Die Bunker gehören zu Nürnbergs Stadtgeschichte. Doch heute wirken sie oft wie aus der Zeit gefallen, sind in Beton gegossene Mahnmale – oder werden ganz anders genutzt. Aus dem Bleiweißbunker wird eine Kindertagesstätte. Im Grübelbunker wollen Senioren selbstbestimmt alt werden. Auch in andere Bunker ist neues Leben eingezogen. Doch manche der Luftschutzräume sind ein schwieriges Erbe.

Die Nürnberger Felsenkeller

Unter der Nürnberger Altstadt verläuft ein riesiges, verlassenes Labyrinth. Wer durch die schwere Tür mitten in einem Nürnberger Gymnasium in der Nähe der Kaiserburg. schreitet, kommt hinab in die Nürnberger Unterwelt – und braucht eine gute Taschenlampe. Denn Licht gibt es hier keines, das Handy hat keinen Empfang und das Labyrinth aus ehemaligen Bierkellern ist riesig, weiß Ralf Arnold. Er kennt die Keller gut. Als Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge bietet er immer wieder Führungen im Untergrund an. 

"All die Bierkeller zusammengenommen haben eine Fläche von 25.000 Quadratmetern, das ist etwa die Größe von vier Fußballfeldern, da kann man sich schon sehr arg drin verlaufen."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

Durchlöchert wie ein Schweizer Käse

Ab dem Jahr 1380 durchlöchern Bierbrauer den Sandstein unter der Nürnberger Altstadt wie einen Schweizer Käse. Um darin bei konstanten acht bis zwölf Grad ihr Bier zu lagern. Im Zweiten Weltkrieg werden die Keller ganz anders genutzt. Denn der Sandstein mag das Wasser durchlassen – nicht aber die Bomben. Und so verfügt die Stadt: Aus den Kellern werden Bunker. Neue Eingänge werden gegraben, Rettungsstollen errichtet, die einzelnen Keller werden mit Tunneln verbunden, elektrisches Licht wird verlegt und Klos werden eingebaut.

Ein halber Quadratmeter Platz

Damit bieten die Keller zehn bis 24 Meter unter der Erde rund 20.000 Nürnbergern Schutz vor den Bomben. Viel Platz hatte da niemand, weiß Ralf Arnold.

"Augenzeugen haben uns das eigentlich ziemlich übereinstimmend bestätigt, dass sie so dicht beieinander standen, dass man sagen kann, ein Mensch hatte so einen halber Quadratmeter Platz. Und diese Angriffe dauerten ja in der Regel zwei Stunden, länger nicht, dann durften die Leute ja wieder raus."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

Bierkeller deluxe für OB und Gauleiter

In den Kellern gab es extra klimatisierte Bereiche für Schulkinder. Und belüftete Büros für das Hochbauamt, die Polizei, den Vorläufer des Technischen Hilfswerks. Und einen Keller deluxe für den damaligen Oberbürgermeister von Nürnberg und den Gauleiter von Mittelfranken. Außerdem lagern in den unterirdischen Bunkern während des Krieges Kunstschätze, die nicht so empfindlich sind wie Gemälde. Statuen aus Stein zum Beispiel. Und ein ganz besonderer Schatz.

"Hier an dieser Stelle, wahrscheinlich, ist nicht ganz gesichert, waren einige Monate lang von Ende März 45 bis August 45 die Reichskleinodien eingemauert, in einer Nische. Die Kaiserkrone, der goldene Reichsapfel, das Zepter und zwei Schwerter. Das hat man vor den Amerikanern versteckt. Nürnberg ist wahrscheinlich der einzige Ort der Welt, wo man eine Kaiserkrone in einem Bierkeller versteckt hat."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

Die Keller stehen heute leer

Nur alle paar Jahre finden in diesem Teil der Nürnberger  Felsenkellern Führungen statt. Ansonsten bleibt es stockfinster. Nur Mitarbeiter des Hochbauamts laufen zwei bis dreimal im Jahr die kompletten Gänge ab. Um sicherzustellen, dass niemand in die Schächte fallen kann. Und um zu prüfen, ob die Keller noch stabil sind. Ansonsten stehen die Keller leer, sagt Bernhard Hebendanz, der beim Hochbauamt arbeitet und die ehemaligen Bunker verwaltet. 

"Für Lagerzwecke sind die Keller nicht geeignet. Es gibt keine Aufzüge und auch einfach von den Temperaturen und vom Klima her sind sie nicht geeignet für die Nutzung, deswegen stehen diese Anlagen leer."

Bernhard Hebendanz, Mitarbeiter des Hochbauamtes Nürnberg

Und nach einem Kontrollgang schließt Bernhard Hebendanz wieder das Tor zu Nürnbergs Unterwelt.

Ost gegen West – der Kalte Krieg beginnt

Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, der Kalte Krieg beginnt – und die Angst vor einem Dritten Weltkrieg wächst. Ost und West rüsten atomar auf. Die Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg bieten aber keinen Schutz vor einer Atombombe. Deshalb müssen neue Bunker her, die vor atomaren, biologischen und chemischen Waffen schützen: ABC-Bunker. In Nürnberg werden alte Luftschutzräume aufgerüstet und neue Bunker gebaut, insgesamt entstehen 27 öffentliche ABC-Bunker. 3,7 Prozent der Nürnberger Bevölkerung hätten darin Platz gefunden. Aber hätten sie auch überlebt? Das lässt sich im Bunker unter dem Hauptbahnhof eindrucksvoll erfahren.

Es ist ein riesiger ABC-Bunker sieben Meter unter dem Nürnberger Hauptbahnhof, erbaut wird er von 1973 bis 1977, zusammen mit der U-Bahn. 2.448 Menschen hätten darin zwei Wochen lang ausharren können, während über ihnen der Dritte Weltkrieg tobt. Genutzt wird der Bunker nie.

Hartschalensitze und fünfstöckige Gerüste mit Stockbetten

Durch eine gelbe Schleusentür geht es in eine Welt, in der die Zeit im Jahr 1977 stehengeblieben zu sein scheint. Neonröhren beleuchten orangefarbene Hartschalensitze und fünfstöckige Gerüste mit Stockbetten. 2.448 Menschen hätten durch die Schleusentür gedurft – dann wäre sie verschlossen worden, aus Platzgründen. Wer zuerst da ist, kommt rein – so das Motto. Und dann hätten die Menschen zwei Wochen unter der Erde überleben können, sagt Ralf Arnold vom Förderverein Nürnberger Felsengänge. 

"Nach zwei Wochen war der Treibstoff alle. Da ging hier das Licht aus, es gab keine neue Luft, keine neues Wasser, und dann mussten die Leute raus. Egal, wie es da oben aussieht. Egal, was da oben los ist: Nach zwei Wochen war Schluss. Als man damals die Standards für diese Bunker geplant hat, das war kurz nach der Kubakrise Mitte der 60er Jahre, da war man noch der Überzeugung, dass nach zwei Wochen die Strahlung wieder komplett weg ist. Man hat dann schon sehr bald erkannt, dass das nicht der Fall ist, aber hat die Planung nicht mehr geändert. Es blieb einfach so, bis 1989: 14 Tage Betriebsdauer, dann ist der Treibstoff alle, dann ist hier Schicht im Schacht."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

ABC-Bunker – nur eine psychologische Hilfe

Die tödliche Strahlung wäre nach zwei Wochen natürlich immer noch tödlich gewesen. Die Bunker waren somit nur eine psychologische Hilfe.

"Man wollte den Leuten das Gefühl geben, irgendwas geht noch. Auch wenn der Dritte Weltkrieg losgeht, es ist nicht alles vorbei. Ein paar kommen durch, irgendwas geht schon noch weiter. Dieser psychologische Effekt, das war wahrscheinlich wichtiger als die tatsächliche Schutzfunktion. Viel hätte das nicht gebracht."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

Denn bei einem Atombombenabwurf in unmittelbarer Nähe wäre der Bunker zu Staub zerbröselt.

"Aber die Sowjets wollten ja gar nicht direkt über den Zentren der großen Städte die Bomben zünden, die wollten sie ja vielleicht mal in 30 Jahren übernehmen. Wir wissen das heute im Nachhinein aus den Planungen: Feucht, das liegt südöstlich von Nürnberg, da hatten die Amerikaner ein großes Munitionsdepot, da wäre so eine Atombombe hochgegangen."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

8 Stunden liegen, 16 Stunden sitzen – 14 Tage lang

Und in den zwei Wochen wäre der Tageablauf im Bunker klar strukturiert gewesen.

"Es gibt hier fünf Stockwerk hohe Etagenbetten, das hat so ein bisschen U-Boot-Flair. Und die Leute sollten hier 16 Stunden sitzen, acht Stunden liegen, 16 Stunden sitzen, acht Stunden liegen, 14 Tage lang, nonstop, und da oben tobt der Dritte Weltkrieg. Es hätte dreimal am Tag Mahlzeiten gegeben. Einmal Tee und Suppe. Bei der zweiten Suppe und Tee. Und bei der dritten, dreimal dürfen Sie raten, Tee und Suppe. Also sehr viel Flüssignahrung."

Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge

Bedrohung wird erfahrbar

Jeweils 50 Menschen hätten sich eine Toilette und ein Waschbecken teilen müssen. Die Becken sind aus Plastik, die Spiegel aus Blech. Niemand sollte in der Lage sein, sich eine Waffe zu bauen. Die Menschen wären extremen psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen. Und genau das lässt sich den Besuchern im Hauptbahnhof-Bunker nahe bringen, sagt Ralf Arnold, der auch Schüler durch diesen Bunker führt.

Nürnbergs letzter offizieller Bunker

Angst und Anspannung während des Kalten Krieges lassen sich im Hauptbahnhof-Bunker deshalb so gut vermitteln, weil eines der beiden ursprünglichen Stockwerke noch im Original erhalten ist. Stockbetten, Hartschalensitze, Notstromaggregat, Toiletten und Waschbecken – alles ist noch da. Und der Hauptbahnhof-Bunker ist Nürnbergs letzter offizieller Bunker. Zuständig für seine Instandhaltung ist Bernhard Hebendanz. Als er vor 20 Jahren angefangen hat, beim Hochbauamt zu arbeiten, musste er noch 14 Bunker betreuen.

"Diese Anlagen, die ja noch funktionsfähig waren, hat man regelmäßig gewartet, der Bund hat 500.000 Mark damals zur Verfügung gestellt für die Wartung und Unterhaltung der Schutzräume, pro Jahr. Und dann kamen Fachfirmen, die regelmäßig untersucht haben und der TÜV hat Abnahmen durchgeführt, also man hat das sehr gewissenhaft betrieben. Wir waren fast täglich hier in den Schutzräumen und sind von einem zum andern gegangen und haben dort Reparaturen durchgeführt."

Bernhard Hebendanz, Mitarbeiter des Nürnberger Hochbauamtes

Posse um Eigentumsfrage

Heute sind diese Reparaturen nicht mehr notwendig. Nürnbergs Bunker wurden nach und nach entwidmet – und sind mittlerweile ganz normale Gebäude. Nur der Hauptbahnhof-Bunker ist übrig. Weil nur der Eigentümer eine Entwidmung beantragen kann – und lange nicht klar war, wem der Bunker unterm Hauptbahnhof überhaupt gehört. Nun steht fest: Eigentümerin ist die Stadt Nürnberg. Und die will nun auch den Hauptbahnhof-Bunker entwidmen lassen. Ralf Arnold hofft, dass er trotzdem erhalten bleibt – und er mit seinem Verein regelmäßig Führungen anbieten kann. Denn das Interesse ist da: Als er zuletzt Führungen durch den Bunker angeboten hat, wollten sich in einer Woche knapp 6.900 Besucher ein Bild von der Anlage aus dem Kalten Krieg machen.

Regierung gibt Bunker auf – zu voreilig?

Mit dem Fall der Mauer 1989 entfällt auch die Notwendigkeit die Bevölkerung durch Bunker schützen zu müssen. 2007 beschließen die Innenminister der Länder, dass es keine Bunker mehr braucht. Die Eigentümer können nun die Zweckbindung der Bauten aufheben lassen, Wohnungen oder eine Kita bauen, die ehemaligen Bunker als Lagerräume vermieten oder eben ein Museum daraus machen. Nur: Hat die Politik die Bunker zu schnell aufgegeben? Das fragt sich Wolfram Gäbisch, der als Abteilungsleiter im Liegenschaftsamt der Stadt Nürnberg neun ehemalige Bunker verwaltet. Wenn Gäbisch an den Atomstreit zwischen Nordkorea und den USA oder an die jüngsten Terroranschläge denkt, dann wird ihm mulmig zumute. 

"Die Bedrohungslagen in atomarer Hinsicht, mit immer größeren Reichweiten von Raketen und so weiter, lassen doch Befürchtungen aufkommen, ob dem Bevölkerungsschutz nach dem jetzigen Status, Genüge getan ist. Auch die Angst vor terroristischen Anschlägen hat wieder etwas an Bedeutung gewonnen. Wenn man heute so in die Weltpolitik schaut, ich nenn mal nur als Stichwort Nordkorea, da kann es selbstverständlich so sein, dass sich da mal was hochschaukelt."

Wolfram Gäbisch, Abteilungsleiter im Nürnberger Liegenschaftsamt

Natürlich hofft Wolfram Gäbisch, dass ein solcher Ernstfall nie eintritt. Und viel Schutz würden die Bunker dann eben auch nicht bieten. Betonklötze mit meterdicken Mauern zum Schutz der Bevölkerung – das ist endgültig Geschichte. Aus dem Nürnberger Stadtbild werden die Bunker aber noch lange nicht verschwinden.


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