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Zensur in der Literatur Oben und unten:

Stand: 24.01.2017

Grundgesetz, Artikel 5 | Bild: picture-alliance/dpa

Die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsbeschaffung ist in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert. Dort heißt es knapp: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fernsehen werden gewährleistet." Die nüchterne Feststellung gipfelt in einer Zusage, die zu den wesentlichen Errungenschaften der bürgerlichen Emanzipation und der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung zählt: "Eine Zensur findet nicht statt".

Ein elitärer Dressurakt

Ein lapidarer Satz. Aber was für ein Paukenschlag! Denn Zensur, also die staatliche, obrigkeitliche, durch Gruppen und Einzelpersonen ausgeübte Behinderung, Gängelung und Bestrafung der freien Meinungsäußerung, war und ist seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte ein Dressurwerkzeug weltlicher und geistlicher Obrigkeiten. Mit Hilfe des angemaßten oder zugestandenen Vorrechts, Ideen und Äußerungen zu zensieren und zu kontrollieren, haben die Mächtigen von jeher die Machtlosen unmündig, klein und auf Abstand gehalten.

Macht- und Mündigkeitsgefälle

Ungeachtet ihrer jeweiligen Ausformung und Begründung basiert die geistige Bevormundung zu allen Zeiten auf zwei Grundelementen: Einem Machtgefälle und der Errichtung eines Mündigkeitsgefälles. Das Machtgefälle erklärt sich selbst: Ein Einzelner oder eine Gruppe verfügt über die nötigen faktischen, finanziellen, personellen und technischen Mittel der Freiheitskontrolle. Die individuellen oder kollektiven Urheber heißen je nach Land, Epoche und Umfeld beispielsweise Kaiser, König, Fürst, Papst, Priester, Vorsitzender, Präsident oder CEO.

Verbotene Früchte

Was es mit dem Mündigkeitsgefälle auf sich hat, zeigt exemplarisch die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies. Laut Genesis pflanzt Gott einen Garten in Eden, setzt Adam hinein und gibt ihm Eva zur Seite. Die Stammeltern dürfen von allen Bäumen des Gartens essen. Mit einer Ausnahme: Die Früchte des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse sind tabu. Sie gehören Gott alleine. Und sie markieren eine entscheidende Grenze: Die zwischen elitärem Wissen, das nur wenigen zusteht, und gewöhnlichem Wissen, das allen frommt. Diese Wissensschwelle ist heilig, sie zu überschreiten ein Sakrileg. Gott will die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, nicht mit seinen Geschöpfen teilen. Das ist allein seine Zuständigkeit und muss auch so bleiben. Die Unfähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ist ein grundlegendes Distinktionsmerkmal, ein göttliches Exklusivrecht. Sobald der Mensch über sie verfügt, ist er seinem Schöpfer ebenbürtig. Und genau das gilt es, durch Tabu und Zensur zu verhindern.

Tabu der Ebenbürtigkeit

Spannend ist dabei neben der Begründung des Verbots vor allem der Nachweis seiner Übertretung. Adam verrät den Frevel ausgerechnet durch einen Erkenntnisgewinn: Als ihn Gott nach dem Sündenfall ruft, versteckt er sich. Die verbotene Frucht hat ihm die Augen über sich selbst geöffnet. Adam erkennt, dass er nackt ist und schämt sich. Gott weiß sofort, woher der Wind weht: "Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?" Das ist eine Fangfrage. Die Folgen sind bekannt: "Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens."

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Buch mit Kette | Bild: colourbox.com zum Thema Zensur in der Literatur Zur Geschichte der Informationskontrolle

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