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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Allerseelen – spirituelles Greenwashing

Am Tag nach Allerheiligen ist Allerseelen, dann wird der Toten gedacht und für sie um Ablass gebeten. Und weil es dabei viel mehr um uns selbst geht, als um die "armen Seelen" in irgendeinem "Fegefeuer", ist Allerseelen ein schrecklich moderner Gedenktag, findet Uli Höhmann. Eine Glosse von Uli Höhmann.

Von: Uli Höhmann

Stand: 02.11.2023

Heute ist Allerseelen, die kleine Schwester von Allerheiligen gestern. Nur ein Gedenktag, kein Feiertag in Deutschland, nicht einmal in Bayern. Deshalb wird er auch gern vergessen. Heute gedenkt die gute Katholikin und der fromme Bürger aller armen Seelen, die im Fegefeuer schmoren. Sie beten und sie bitten, ob ihnen nicht ein wenig von ihrer Sündenstrafe erlassen werden kann. Das ist so herrlich selbstlos … wie verlogen. Und damit schrecklich modern und zeitgemäß. Denn natürlich geht’s nicht um die Seelen der anderen, die sind ja tot.

Es geht um die eigene. Es geht immer um die eigene Seele. Dass die sich gut fühlt, sonst würden wir das ja gar nicht aushalten mit uns. Und so betet und bittet der gläubige Mensch an Allerseelen so vor sich hin und wünscht sich insgeheim, dass er das online machen könnte: ein paar Betcoins überweisen, das Update für die Fegefirewall installieren und dann fix den nächsten Schnäppchenurlaub buchen, bevor die Preise teuflisch hoch werden. - Möchten Sie einen CO2-Ausgleich von 22 Cent pro Flugmeile zahlen?“ Aber ja, heute ist doch Allerseelen, der Tag des Ablass.

So, jetzt aber los auf den Friedhof, bevor der Drogeriemarkt zu macht. Ich brauch ja noch ne Kerze. Hey, die LED-Grablichter made in China sind im Angebot. Cool, ich nehm gleich zehn! Damit stell ich die ganze Grabplatte zu. Ist ja auch viel klimafreundlicher, weil solarbetrieben. Und mei, schee, die flackern wia echte Kerzen! - Zehn Stück. Zehn Stück! Also, das ist ja schon, also, gell, lieber Gott, das unterstreicht jetzt schon noch mal, wie viel ich da investiere.

Weihwasser spritz, seufz, schneuz, und dann schnell wieder nach Hause, bevor's dunkel wird

Also, zehn Solar-Grablichter anknipsen sind schon ein Argument, dass die armen Seelen das ja eigentlich nicht verdient hätten mit diesem Fegefeuer. Denn mal ehrlich, sie haben es ja auch nicht leicht gehabt, damals. Die Oma hat die jungen Katzerl nicht ersäuft, das war ein Unfall. Und es war ja auch nicht alles schlecht damals – unterm Strauß. Und mei, jetzt schau nur mal, wie schee der ganze Friedhof hergricht is. Wie früher, als alles besser war.

Weihwasser spritz, seufz, schneuz, und dann schnell wieder nach Hause, bevor's dunkel wird. Genug gedacht der Toten und ihrer armen Seelen. Sich dauernd an sie erinnern, ist ja auch keine Lösung. Das würde sich ja anfühlen, als wären die noch unter uns. Huah, gruselig. Der Heimweg führt vorbei an der Flüchtlingsunterkunft: Ja, da leben auch arme Seelen, die haben's auch nicht leicht. Aber, dass die mal alle fliehen, dass die mal alle rauskommen aus ihrem Fegefeuer, das ist eigentlich so nicht vorgesehen. Na na, die sollen mal schön da drunten bleiben. Und überhaupt ist ja das Fegefeuer noch nicht das Schlimmste.

Das ist ja nur die Vorstufe zur Hölle, also quasi ein sicheres Herkunftsland. Und es ist weit weg. Das ist die Hauptsache, weit weg. Wie die Toten. Es reicht, wenn wir einmal im Jahr an sie gedenken. Und ein paar Kröten springen lassen für ein Grablicht. Allerseelen ist modern. Allerseelen ist spirituelles Greenwashing und wir sollten es zu einem Feiertag machen. International. Fänd ich großartig. Wenn wir es schaffen, uns an den übrigen 364 Tagen im Jahr nichts vorzumachen.


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