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Kommentar Nach dem Draghi-Besuch im Bundestag

Viele Politiker machen Draghis Nullzinspolitik für den schlechten Zustand der beiden Kreditinstitute mit verantwortlich. Deshalb war klar, dass sich der EZB-Präsident auf eine unangenehme Befragung in Berlin einstellen musste. An seinem Standpunkt hat er allerdings nichts geändert. Doch in Sachen Geldpolitik sollten die Deutschen nicht nur mit dem Finger nach Brüssel zeigen, mahnt unser Börsenexperte.

Von: Rigobert Kaiser

Stand: 29.09.2016

Mario Draghi | Bild: picture-alliance/dpa

Kritik erlaubt

Selbstverständlich darf man die Geldpolitik der EZB  kritisieren, auch wenn sich EZB-Chef Draghi bei seinem Besuch im Bundestag dagegen verwahrte. Die Notenbank ist zwar „politisch unabhängig“, aber nicht unfehlbar. Und je mehr die Niedrigzinspolitik ins Alltagsleben der Menschen und in die Geschäftsmodelle der Banken eingreift, umso mehr dürfen auch Politiker ihre Befürchtungen äußern.

Aber fair

Die Kritik muss aber immer fair sein. Draghi als ehemaligen Mitarbeiter der Investmentbank Goldman Sachs hinzustellen, der Deutschland und die deutschen Sparer ruinieren wolle, ist absurd. Die EZB dient 19 Ländern mit höchst unterschiedlichen Interessen, die alle von der umstrittenen Geldpolitik profitieren. Obwohl viele dieser Länder wirtschaftlich angeschlagenen sind, können sie sich zu historischen Minizinsen finanzieren. Das wird leidlich ausgenutzt, obwohl die EZB seit Jahren mahnt, diese Phase zur Sanierung der Haushalte zu nutzen. Doch nichts passiert. Ganz im Gegenteil: Draghis Zinsparadies verlockt eher zu neuen Schulden.

Auch Schäuble ist ein Profiteur

Dieselben Politiker, die die EZB kritisieren, nutzen die Gunst der Stunde für neue teure Versprechen. So als sei niemals Griechenland unter seiner Schuldenlast zusammengebrochen. So als hätten Irland, Portugal und Spanien niemals gerettet werden müssen. Auch Bundesfinanzminister Schäuble ist ein Profiteur: Er ist in der irrwitzigen, aber äußerst komfortablen Lage, fürs Schuldenmachen sogar noch Geld zu bekommen. Noch nie hat ein deutscher Finanzminister so wenig für den Schuldendienst ausgeben müssen wie er. 

Nur warme Worte

Reihenweise fordern deutsche, vor allem konservative Politiker Draghi auf, die Zinsen zu erhöhen – auch um der Sparer willen. Eine im Grunde richtige Forderung, denn es sind die normalen Bürger, die am meisten darunter leiden. Doch für die gibt es nur warme Worte. In Berlin ist noch kein einziger Politiker, auch Schäuble nicht, auf den Gedanken gekommen, die Zinsersparnis in zweistelliger Milliardenhöhe an die Bürger weiterzugeben. Warum gibt es keine Steuererleichterungen als Ausgleich? Warum wird die ungerechte kalte Progression im Steuerrecht nicht schneller abgebaut?  Warum gibt es keine Hilfen für die Altersvorsorgen, die derzeit reihenweise unrentabel werden?

Zum Scheitern verurteilt

Die Politik der EZB hat längst eine politische Dimension, auch weil die Zentralbank in den vergangenen Jahren bei allen Rettungsmaßnahmen der Eurozone mitwirkte. Draghi weiß das, auch wenn er es offiziell nicht zugeben kann. Er weiß, dass seine Geldpolitik zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht endlich die Regierungen mitspielen. Er weiß, dass er am Ende die Verantwortung übernehmen muss. Das, Herr Draghi ist keine Kritik. Das ist eine nüchterne Beschreibung der Realität.


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