Bayern 2 - radioTexte


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"Errötende Mörder" Zur Erinnerung an Brigitte Kronauer

Als 1980 Birgitte Kronauers erster Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" erschien, waren sich die Kritiker einig: moderne Prosa, stilsicher erzählt, genau in der Beobachtung. Stets mit einem Notizbuch unterwegs, gab es nichts, worüber die Grande Dame der deutschen Literatur nicht zu schreiben pflegte. Blumen und Tiere, Menschen am Abgrund und in der Glamourwelt. Cornelia Zetzsche erinnert an die große Schriftstellerin, die am 22. Juli nach langer Krankheit gestorben ist, mit einer Autorenlesung aus dem Roman "Errötende Mörder".

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 24.07.2019

Schriftstellerin Brigitte Kronauer in ihrem Haus in Hamburg-Nienstedten | Bild: picture-alliance/dpa

Sarkastisch und voller Poesie sind Brigitte Kronauers Sprachkunstwerke. Bereits als kleines Mädchen schrieb sie Geschichten, weil sie vom Vater angehalten wurde, Schreiben zu üben wegen ihrer miserablen Handschrift. So fing ihre Leidenschaft an. Dass sie später mit den höchsten Literaturpreisen geehrt wurde, konnte damals keiner wissen. Mit 16 Jahren reichte die in Essen geborene Autorin Hörspiele bei verschiedenen Verlagen ein, Schreiben war ihr ein Grundbedürfnis. Nach dem Studium der Germanistik, Soziologie und Pädagogik arbeitete sie zunächst als Lehrerin. Erste Aufsätze und Essays erschienen in den 1960er Jahren in verschiedenen Zeitschriften. Mit ihrem ersten Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" schaffte sie 1980 den Durchbruch. Marcel Reich-Ranicki sah in ihr "die beste Prosa schreibende Frau der Republik".

"Meisterin des Vexierspiels, der höheren Heiterkeit"

2005 bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises

2005 wurde die sprachmächtige Schriftstellerin mit dem renommierten Georg-Büchner-Preis geehrt. Die "Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung" verlieh den Preis "der spielerisch sicheren Erzählerin, die ihren Sinn für das scheinbar Banale, für Komik, Erotik und Sarkasmus hellhörig und präzise auf alles Doppelbödige in Gefühlen und Gesten richtet und so zu einer Meisterin des Vexierspiels, der höheren Heiterkeit und des musikalischen Schreibens wird."

"Teufelsbrück", ein Roman über die Elbe, die Liebe und die Romantik, "Die Tricks der Diva", "Das Verlangen nach Wald und Gebirge", "Zwei schwarze Jäger" bescherten Brigitte Kronauer viele Ehrungen. Sie hielt Poetik-Vorlesungen an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und widmete sich in ihrem Spätwerk auch literarischen Skizzen, in der sie aus präzisen Detailbeobachtungen, lyrischen und psychologischen Personenbeschreibungen Lebens- und Stimmungsbilder komponierte. Posthum erscheint im August "Das Schöne, Schäbige, Schwankende", ein Roman über die Schriftstellerei.

Autorenlesung aus dem Roman "Errötende Mörder"

Brigitte Kronauer 2007 mit ihrem gerade erschienenen Roman "Errötende Mörder"

"radioTexte - Das offene Buch" erinnert am Sonntag, dem 28. Juli, an die große Schriftstellerin Brigitte Kronauer mit Ausschnitten aus dem Roman "Errötende Mörder", der 2007 erschien. Jobst Böhme, krisengeschüttelter Inhaber eines Büroartikelgeschäfts fährt zur Selbstfindung in das Schweizer Chalet eines befreundeten Schriftstellers. Dafür soll er drei unveröffentlichte Manuskripte Korrektur lesen. Erholung, Bergwandern, ein langes Wochenende, um zur Besinnung zu kommen. Doch es wird eine Odyssee in seine Innenwelt. Zunächst aber sitzt Jobst Böhme im Zug Richtung Schweiz.

"Errötende Mörder", Buchcover | Bild: Klett-Cotta Verlag

"Böhme stellte sofort sein Mobiltelefon ab. Für die ganze Zeit!, nahm er sich fest vor. Auch ergänzten die Passagiere einander wie Bestecke in einer Schublade, wie Werkzeuge in einem Kasten, konkave und konvexe Bäuche, heitere und gramvolle Mienen, Schlafende und unentwegt Herumhampelnde. Dann gleich zwei Mütter, die, ähnlich wie die beiden Büroherren alle Umsitzenden zum Mithören zwingend, ihren Kindern Grimms Märchen vorlasen. Eine kürbisförmige und außerdem goldblonde Frau erzählte einer anderen, sie habe als Musikchefin bei einem College-Radio in England angefangen, eine Girlsband fürs Fernsehen gecastet und jahrelang für Eins Live und MTV Europe gearbeitet. Jetzt habe sie in einer Woche wegen einer Jurysitzung sechzehn Bücher gelesen, jeden Tag zwei Romane. Eine so dicke Frau in einer literarischen Jury? War es Zufall, daß daraufhin ein Mann in eine andere Richtung prahlte, er sei in acht Tagen 72 Stunden in der Luft gewesen? Sechzehn Romane! Die waren nun in ihr untergebracht. Daß man von Büchern leiblich so anschwellen konnte! Dabei hatten sie sich bestimmt längst wieder aus ihr verflüchtigt."

aus: 'Errötende Mörder' von Brigitte Kronauer, Klett-Cotta Verlag


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