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Karin Anselm liest Ruth Klüger: Weiter leben

„Haltlos und provisorisch und dann auch wieder in Ruhe verzaubert erschien mir das Leben im frühen Frieden von 1945.“ – die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin erzählt die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend. Lesung mit Karin Anselm

Stand: 18.01.2024 | Archiv

"Freiheit bedeutete weg von. Weg von dem tödlichen Marsch, von den vielen Menschen, von der ständigen Bedrohung. Die Luft roch anders, frühlingshafter, jetzt, wo wir sie für uns allein hatten. Jeder nächste Tag war sowieso unerforschlich, und da wir nicht vorsorgen konnten, machte ich mir keine Sorgen."

(Ruht Klüger: Weiter leben)

Die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger – geboren 1931 in Wien, gestorben 2020 in Kalifornien – gehört zu den bedeutenden literarischen Chronistinnen des 20. Jahrhunderts und der Schoah. Als Kind musste sie erleben, was Menschen – in deutschem Namen – einander antun können. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich wurde ihre Familie getrennt, der Vater floh nach Frankreich und wurde später in Auschwitz ermordet. 1942, im Alter von elf Jahren, wurde Ruth Klüger zusammen mit der Mutter nach Theresienstadt deportiert.

Von dort führte der Leidensweg weiter nach Auschwitz und schließlich in ein Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen in Schlesien. Kurz vor Ende des Krieges konnten Mutter, Tochter und einige andere Frauen bei einem Todesmarsch entkommen. Zusammen mit einem weiteren Mädchen wurden Ruth Klüger und ihre Mutter von einem Pfarrer mit neuen Papieren ausgestattet und kamen nach Deutschland. Sie wohnten als „Displaced persons“ in provisorischen Verhältnissen in Straubing und hofften auf eine Ausreise nach Palästina oder in die USA. 1947 zogen die beiden Frauen in die USA. Ruth Klüger studierte Germanistik und Bibliothekswissenschaft, der Beginn einer großen akademischen Karriere. Unter anderem beschäftigte sich Ruth Klüger mit dem Werk des Dichters Heinrich von Kleist.

1992 veröffentlichte sie unter dem Titel „Weiter leben“ die Erinnerungen an die Kindheit in Wien, die Deportation und Gefangenschaft in den Lagern, die Nachkriegszeit und den Weg in die USA. Buch und Autorin wurden vielfach ausgezeichnet, „Weiter leben“ gehört zu den bedeutenden Erinnerungsbüchern aus dem 20. Jahrhundert. Es erzählt eindringlich davon, wohin Hass, Verachtung und Ausgrenzung führen. 2016 sprach Ruth Klüger bei der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer das Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag. Im gleichen Jahr erhielt sie, für ihr Lebenswerk, den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten beim Bayerischen Buchpreis.

In einer Aufnahme des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahr 1995, hat Karin Anselm aus den Erinnerungen von Ruth Klüger gelesen. Ruth Klügers Buch „Weiter leben“ ist im Wallstein-Verlag Göttingen erschienen.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages dürfen wir diese Lesung in unserem Podcast „Lesungen“ in der ARD Audiothek anbieten. Redaktion: Niels Beintker


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