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Otfried Preußler liest Die Flucht nach Ägypten

„Der Weg von Bethlehem nach Ägypten muss damals, in jenen heiligen Zeiten, durchs Königreich Böhmen geführt haben…“ – eine ganz eigene Version der Weihnachtsgeschichte. Und eine Hommage auf die literarische Phantasie. Lesung mit Otfried Preußler.

Stand: 21.12.2023 | Archiv

Otfried Preußler: Die Flucht nach Ägypten | Bild: BR-Bild

"Dem Jesulein zwar und der Mutter Gottes haben der Schnee und die Kälte nichts ausgemacht, weil sie warm verpackt auf dem Rücken des Esels gesessen sind; aber dem heiligen Josef ist‘s ganz hübsch kalt gewesen, so dass es ihm beinahe den Atem verschlagen hat…"

(Otfried Preußler)

Die Geschichte der Flucht nach Ägypten, überliefert im Matthäus-Evangelium, gehört zu den bekanntesten Erzählungen des Neuen Testaments. Josef, Maria und das neugeborene Kind müssen das Heilige Land verlassen, um dem perfiden Rache-Plan des Königs Herodes zu entgehen. Mit einem Esel zieht die Familie in die Fremde und entgeht so dem Kindermord von Bethlehem.

Otfried Preußler, Verfasser so großartiger Kinder- und Jugendbücher wie der „Kleinen Hexe“ oder dem „Krabat“, hat sich von dieser biblischen Geschichte zu einem Roman für Erwachsene inspirieren lassen. In „Die Flucht nach Ägypten. Königlich-böhmischer Teil“ lässt er Maria, Jesus und Josef über das Land seiner Kindheit nach Ägypten fliehen – und dabei gleich einen Zeitraum von 1900 Jahren elegant wie en passant überspringen. Für Preußlers Biographen Tilman Spreckelsen ein großartiges Werk voll leiser Melancholie.

Der Schriftsteller setzt die Flucht der Heiligen Familie, mitten in einem kalten Winter, in Bezug zur Kultur in seiner böhmischen Heimat. Die Fliehenden begegnen unter anderem den Krippenschnitzern – also den Volkskünstlern, die die die Weihnachtsgeschichte auf besondere Weise abbilden. Otfried Preußler nutzt die ungewöhnliche literarische Idee – den Sprung durch Raum und Zeit -, um auch von der Kultur in der Welt seiner Kindheit und vom Zusammenleben von Tschechen und Deutschen vor dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen. Dieses Thema wurde in den 1970er Jahren immer wichtiger für ihn.

Eine Woche lang durchstreifen Maria, Josef und das Kind in Preußlers Roman das winterliche Böhmen. Sie werden begleitet vom Erzengel Gabriel, der die Gestalt des Esels angenommen hat. Herodes wiederum, der mit einem Amtshilfeersuch an den Habsburger Kaiserhof die Auslieferung der Flüchtlinge fordert, kann auf die Hilfe eines Teufels zählen. Bei aller gestalterischer Phantasie hat sich Otfried Preußler intensiv mit der heilsgeschichtlichen Perspektive der Weihnachtsgeschichte beschäftigt. Auch diese wird in „Die Flucht nach Ägypten“ thematisiert.

In einer Aufnahme für den Bayerischen Rundfunk aus dem Jahr 1978 hat Otfried Preußler Auszüge aus seiner literarischen Auseinandersetzung mit der Weihnachtsgeschichte gelesen.

Mit freundlicher Genehmigung der Familie von Otfried Preußler dürfen wir die Lesung auch im Bayern2 Podcast „Lesungen“ anbieten. Redaktion: Niels Beintker


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