Bayern 2 - radioTexte


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Gert Heidenreich und Horst Raspe lesen Kurt Tucholsky: Schreiben über Deutschland

„Soll ich dir erzählen, was die Leute in meinem Zeitdorf bewegt? Genf? Shaw-Premiere? Thomas Mann?“ – Streifzüge durch das Werk eines großartigen Publizisten. Lesung mit Gert Heidenreich und Horst Raspe.

Stand: 22.01.2024 | Archiv

"Soll ich dir Schmeicheleien sagen? Ich kann es nicht. Selbstverständlich habt ihr die Frage: ‚Völkerbund oder Paneuropa?‘ nicht gelöst; Fragen werden ja von der Menschheit nicht gelöst, sondern liegen gelassen. Selbstverständlich habt ihr fürs tägliche Leben dreihundert nichtige Maschinen mehr als wir, und im übrigen seid ihr genau so dumm, genau so klug, genau so wie wir."

(Kurt Tucholsky: Schreiben über Deutschland)

1926 veröffentlichte Kurt Tucholsky in der Weltbühne – und später dann in der Sammlung „Das Lächeln der Mona Lisa“ – einen „Gruß nach vorn“, an einen Leser im Jahr 1985. Er suchte das fiktive Gespräche über knapp sechs Jahrzehnte hinweg. Und erinnerte seinen Adressaten – und damit uns – daran, dass wir auch nur Zeitgenossen seien. Und besser als Tucholskys Zeitgenossen und die vorigen seien wir auch nicht. Ein melancholischer Text. Und eine leise Warnung, sich nur ja nicht für viel besser zu halten. Zugleich so besonders konstruiert. Typisch Tucho!

Mit Blick auf das große Werk von Kurt Tucholsky lässt sich sagen: Die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts wäre ohne es vor allem eines – um so vieles langweiliger. Geboren 1890 in Berlin, gestorben 1935 im schwedischen Exil wurde der studierte Jurist und Schriftsteller einer der bedeutendsten Publizisten in der Weimarer Republik. Er schrieb großartig komponierte Feuilletons, hinreißende Literaturkritiken und literarisch verdichtete Zeitbilder. Sein Stil ist einzigartig und unübertroffen.

Kurt Tucholsky hielt seiner Gesellschaft – der deutschen Gesellschaft in der bewegten Epoche zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Machtübernahme der Nationalsozialisten – zudem beständig den Spiegel vor das Gesicht. Seine Zeitkritik, seine Betrachtungen über die Deutschen, sind einerseits historisch, andererseits aber genauso zeitlos. Sie sind auch im fiktiven Fall eines Grußes nach vorn, in das Jahr 2024 ,relevant, in einer Zeit, in der die Feinde der Demokratie ihre Verachtung ungeniert zum Ausdruck bringen.

Am Beispiel der Beschäftigung mit der Lebensgeschichte von Kurt Tucholsky lässt sich zeigen, wohin Angriffe auf die Freiheit und die Würde des Menschen führen können. Streifzüge durch sein großes Werk, am Beispiel ausgewählter Texte, die er als Kurt Tucholsky, ebenso als Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger oder Ignaz Wrobel schrieb. Zu ihnen gehören Gedichte und auch das Feuilleton „Ein älterer, aber leicht besoffener Herr“, ein trauriger und zugleich großartiger Text.

Im Tucholsky-Jahr 1985 – aus Anlass des 50. Todestages des Schriftstellers und Publizisten – entstanden Lesungen mit Gert Heidenreich und Horst Raspe.
Diese Ausgabe der radioTexte gibt es auch in unserem Podcast „Lesungen“ in der ARD Audiothek.

Redaktion: Niels Beintker


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