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Kulturhauptstadt Košice Im Dreieck zwischen Polen, Ungarn und der Ukraine

Es ist Tradition, dass in jedem Jahr zwei Orte europäische Kulturhauptstadt werden. Heuer ist das neben Marseille die Stadt Košice, irgendwo im Nirgendwo der Ostslowakei. Doch der unbekannte Ort hat einiges zu bieten.

Von: Conrad Lay

Stand: 10.01.2013 | Archiv

Inmitten einer Fußgänger-Flaniermeile, umrahmt von Bürgerhäusern vergangener Jahrhunderte thront der mächtige Elisabeth-Dom im Herzen der slowakischen Stadt Košice. Er ist der östlichste, gotische Kirchenbau Europas. Sein Glockenturm wurde 1966 durch ein Feuer zerstört. Heute gibt es daneben ein Glockenspiel, in dem jede Stunde die Melodie von „Yesterday“ erklingt.
Yesterday – Gestern. In Košice, im Dreieck zwischen Polen, Ungarn und der Ukraine gibt es viele Vergangenheiten. Conrad Lay ist ihnen nachgegangen, um die Kulturhauptstadt 2013 in all ihrer Fülle erleben zu können.

Deutsche, Juden, Ungarn und Roma

Jedes zweite Bürgerhaus in der Altstadt von Košice gehörte früher jüdischen Bewohnern. Sie wurden unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vernichtet. In Košice waren es 15.000 Menschen.  Die Deutschen lebten hier seit 800 Jahren, seit der Mongolensturm von Dschingis Khan große, leere Gebiete hinterlassen hatte, die sie dann besiedelten. Die Ungarn erinnern sich wehmütig daran, dass die Stadt bis zum Vertrag von Trianon 1921 Hauptort von „Oberungarn“ war. Auch Roma lebten und leben hier. Als im Kommunismus das Leben im Plattenbau als modern und fortschrittlich galt, wurden sie in die unrenovierte Altstadt gezwungen. Nachdem die Altstadt aufwendig restauriert wurde, schob man die Roma in die Ghettos der Satellitenstädte ab.

Die Košicer selbst fühlen sich als abgehängte Provinz, Budapest ist schneller zu erreichen als die ferne slowakische Hauptstadt Bratislava.

"Wir haben hier keine Autobahnen, bei uns endet der Schengen-Raum. Wir sind von allem weit entfernt. Aber wir sind kreativ."

Tomás Cizmarik aus Košice

Blick in die Zukunft, aber auch zurück

Sandor Marai Gedenkstätte

Kreativ waren auch einige berühmte Söhne der Stadt. Etwa der international bekannte Schriftsteller Sándor Márai. Der Autor von „Die Glut“ wurde am 11. April 1900 als Alexander Grosschmid in Kaschau, heute Košice, geboren. Er entstammt einer deutsch-ungarisch-slowakischen Familie. In einer Seitenstraße erinnert ein Denkmal an ihn : dem Dichter gegenüber befindet sich ein leerer Stuhl, der dazu einlädt, mit Márai ins Zwiegespräch zu treten.

Und auch wenn Pop-Art-Legende Ady Warhol stets behauptete: „I am from nowhere“, dieses Nirgendwo liegt in Košice. Von hier stammen die Eltern Andrzej Warhólas, so sein eigentlicher Name, und Warhóla ist in der Umgebung so geläufig wie bei uns Müller oder Meier. Dass der weltberühmte Künstler also slowakische Wurzeln hat, ehrt die Region sehr. Und sie versucht auch damit zu werben. Von überallher blicken Warhol-Bilder auf den Besucher der Stadt herab.

Kulturhauptstadt Košice: Schmelztiegel der Kulturen

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Kulturhauptstadt Košice: Schmelztiegel der Kulturen

Geschichte und Geschichten überlagern einander in Košice. Vieles ist in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel das Geheimnis der verschwundenen Kuppel. Die heutige Philharmonie der Stadt ist von außen ein Kuppelbau, doch von derselben ist im Inneren nichts zu sehen.
In der Nachkriegszeit zog man eine Zwischendecke ein. Der Zwischenraum zwischen Decke und Kuppel blieb verborgen. Angeblich aus akustischen Gründen, doch in Wahrheit, um die Vergangenheit des Gebäudes zu verdecken. Denn heute weiß kaum mehr jemand in Košice, dass dieses Gebäude einst die Synagoge der Stadt war. Der heute wieder zugängliche Zwischenraum offenbart jüdische Symbole und hebräische Schriftzeichen. Der Architekt Ivan Rozdobudko wünscht sich, dass die vorhandene Decke durch eine Glasdecke ersetzt wird, damit das Erbe dieses Hauses sichtbar wird. Sein Traum und der vieler Menschen in Košice ist es, die Geschichte der Stadt ebenso sichtbar zu machen. Das Jahr als Kulturhauptstadt bietet dafür große Möglichkeiten.

Außerdem in der Sendung

Barcelona Raval

Im Stadtviertel Raval.

Barcelona gilt als eine der hippsten Städte Europas. Am Stadtviertel Raval scheiden sich jedoch die Geister: als authentischen Ort preisen es die einen, als düster und verkommen meiden es die anderen. Renate Eichmeier war vor Ort.


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