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Atomunfall in den USA Vertuscht, bestritten, geleugnet

Am 28. März 1979 versetzt eine Eilmeldung die Welt in Aufregung: In Harrisburg, der Hauptstadt des Bundesstaates Pennsylvania, hat es im Kernkraftwerk Three Mile Island einen Unfall im Kühlsystem gegeben. Bis heute spielen die Verantwortlichen den Vorfall herunter.

Von: Karl Hoffmann

Stand: 13.03.2012 | Archiv

"Es ist alles unter Kontrolle. Es bestand und besteht keinerlei Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit. Es ist nur eine geringe Menge von Radioaktivität an die Umwelt gelangt", verkündet nach dem Vorfall im Kernkraftwerk Three Mile Island ein Nachrichtensprecher. Metropolitan Edison, der Betreiber, habe Luft und Kraftwerksumgebung ununterbrochen kontrolliert und keine erhöhte Radioaktivität festgestellt.

Marjorie Aamodt kämpft seit Jahrzehnten dafür, dass die Kraftwerksbetreiber und die Regierung endlich Verantwortung übernehmen.

Die Sorgen und Beschwerden vieler Bürger nehmen weder Betreiber noch Regierung ernst. Nach dem Unfall im März 1979 – dem bis dahin schwersten Unfall in einem Kernkraftwerk – brennen ihnen Augen und Kehle, sie klagen über einen metallischen Geschmack im Mund, über Kopfschmerzen, Durchfall und Schilddrüsenprobleme.

"Mein Mann analysiert derzeit die Zahl der Krebserkrankungen in der Zeit  zwischen 1985 und 2005 und hat herausgefunden, dass es wahrscheinlich 65.000 zusätzliche Krebsfälle in Pennsylvania gegeben hat. Landesweit stiegen die Krebsfälle bis 1990 und nahmen danach ab. Nur in Pennsylvania nahmen sie bis heute zu."

Marjorie Aamodt

Ignaz Vergeiner zeigt Wetteraufzeichnungen vom Unglückstag

Marjorie Aamodt, inzwischen 83 Jahre alt, und ihr Mann Norman sind überzeugt, dass viel höhere Dosen der gefährlichen Strahlen in die Umwelt gelangt sind, als die Verantwortlichen zugeben wollen. Mitte der 90er-Jahre beauftragen sie deshalb den Tiroler Wissenschaftler Ignaz Vergeiner mit einer Studie zum Atomunfall von Three Mile Island. Der Meteorologe trägt sämtliche Wetteraufzeichnungen am Unglückstag zusammen und belegt, dass es einen radioaktiven Fall-out in unmittelbarer Nähe des Kraftwerks gegeben haben muss. In der hügeligen Umgebung habe sich die Radioaktivität allerdings sehr unterschiedlich verteilt, so dass einige Bewohner kaum, andere wiederum enorme Strahlendosen abbekommen hätten. Doch die Studie des streitbaren Meteorologen aus Osttirol wurde von den amerikanischen Justizbehörden als unerheblich abgetan. Sie wäre in Vergessenheit geraten, hätte Vergeiner nicht kurz vor seinem Tod ein Vermächtnis hinterlassen - in Form eines Videointerviews, in dem er Gerechtigkeit für die Menschen rund um Three Mile Island fordert.

Auch mehr als 30 Jahre nach dem Reaktorunglück nehmen Behörden und Kraftwerksbetreiber die erhöhte Krebsrate und andere Folgen nicht ernst. Nach Tschernobyl und Fukushima werden auch die Langzeitfolgen aus Harrisburg wieder zum Thema. Am 29. März 2012 wird Ignaz Vergeiners Video-Testament als Anti-Atomkraft-Theaterstück im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe uraufgeführt. Der letzte Versuch einer positiven Langzeitfolge.

Auf der Suche nach der Wahrheit

Ignaz Vergeiner (1938-2007), österreichischer Naturwissenschaftler, Autor und Umweltaktivist

Ignaz Vergeiner ist am 13. Dezember 1938 im österreichischen St. Justina geboren. Er besuchte das Gymnasium in Lienz und studierte von 1957 bis 1961 an der Universität Innsbruck Mathematik und Physik auf Lehramt. Nebenbei arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Meteorologie und Geophysik, wo er 1964 auch promovierte. Zwischen 1993 und 1995 trat Ignaz Vergeiner als meteorologischer Experte im Verfahren gegen die Betreiberfirma des Atomkraftwerks Three Mile Island bei Harrisburg, Pennsylvania, für eine klagende Bürgerbewegung auf. Nach seiner Pensionierung im Jahr 2003 zog er nach Wels, hielt aber weiterhin Vorlesungen am meteorologischen Institut in Innsbruck und erstellte Gutachten. Ein Jahr später erkrankte er an Krebs. Ignaz Vergeiner starb am 28. Februar 2007. Er hat ein Video-Testament mit seinen Forschungsergebnissen hinterlassen, das nun zu einem Theaterstück verarbeitet worden ist.


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