Hinter dem Debütalbum des Afro-Haitian Experimental Orchestra steckt eine Geschichte großer Entfernungen, kleiner Probenräume, Schweiß und Tränengas. Angefangen hat alles damit, dass das französische Institut in Haiti im Jahr 2014 Afrobeat-Legende Tony Allen zu einem Musikfestival nach Port-au-Prince einlud, um dort mit einheimischen Musikern zu spielen und schließlich aufzutreten. Einen 7.500 km langen Flug später fand sich Allen wieder in einem Mini-Probenraum wieder mit Musikern der wichtigsten haitianischen Bands, u.a. Racine Mapou de Azor, RAM und Lakou Mizik. Wahnsinn, Chaos und nur fünf Tage zum Proben und Einstudieren gemeinsamer Songs. Mal war ein Riff von Tony Allens Bassist die Grundlage für psychedelische Nummern wie "Chay La Lou", mal waren die Voodoo-Rhythmen und –gesänge der haitianischen Musiker die Basis der Stücke, mal kamen Stücke wie "Yanvalou" heraus, ein krautrock-inspirierter Afro-Ritual-Sound.

Wegen einer Tränengas-Granate vor der Bühne wäre es beinahe nicht zur Premiere des Afro-Haitian Experimental Orchestra gekommen. Der Plan, das Konzert mitzuschneiden, scheiterte an technischen Problemen. Die Songs am Tag darauf noch einmal aufzunehmen, war auch keine Option, weil viele Musiker wieder abreisen mussten. Gott sei dank waren noch einige Aufnahmen von den Probe-Sessions übrig, die für das Debütalbum "Afro-Haitian Experimental Orchestra" mit nachträglichen neuen Gesängen von Erol Josué, Sanba Zao und anderen haitianischen Musikern neu gemischt wurden. Herausgekommen ist ein Album mit viel Gefühl und Spontaneität - jenseits von Geografie und Genres. Anarchistisch und energetisch. Ein Experiment, das funktioniert hat, freut sich Mark Mulholland, der Gitarrist des Orchesters. Recht hat er.
Tobias Ruland

[Glitterbeat Records]