Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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21. März 1933 Tag von Potsdam ohne die SPD und Toni Pfülf

Toni Pfülf nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Münchner Lehrerin und Politikerin brennt für Frauenthemen und soziale Verbesserungen. In der SPD macht die energische Frau rasch Karriere. Bald führt sie einen vehementen Kampf gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Vergeblich. Autorin Birgit Magiera

Stand: 21.03.2024 | Archiv

21 März

Donnerstag, 21. März 2024

Autor(in): Birgit Magiera

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Die Frau, die an einem November-Abend 1918 mitten im Festsaal des Münchner Mathäser-Bräu steht, klingt empört: "Man kann mich nur mit Gewalt aus dem Sitzungssaal befördern, denn ich habe hier im Arbeiter- und Soldatenrat die Interessen der Frauen zu vertreten!" Toni Pfülf, so heißt die Frau mit den dunklen Haaren und der energischen Stimme, meint es ernst.

Trotzdem lassen die anwesenden Männer die Genossin rauswerfen. Frauen sind in dem Politgremium unerwünscht, im rot-revolutionären, frisch gegründeten Freistaat Bayern.

Öffentliche Auftritte als Mann verkleidet

Der Zwischenfall im Mathäser-Bräu zeigt, mit welcher Leidenschaft und Energie die Münchner Lehrerin und Politikerin Toni Pfülf für ihre Ziele kämpft. Schon vorher, zur Kaiserzeit, als Frauen jedes politische Engagement noch verboten ist, hält sie öffentliche Reden, in Männerkleidung.
In der Weimarer Republik sitzt sie als eine der wenigen Frauen in der Nationalversammlung, später zieht sie für die SPD in den Reichstag ein.

Sie kämpft vor allem dafür, dass es aus ihrer Sicht überhaupt keine Frauenfrage gibt. "Dass alles, was heute als Frauenfrage deklariert wird, etwas ganz Selbstverständliches ist", wie sie in einer Rede 1922 betont.

Die Frauenfrage sollte gar keine sein

Es geht um Dinge wie gleichen Lohn, aber auch, dass Mütter unehelicher Kinder verheirateten Frauen gesetzlich gleichgestellt werden. In der Bildungspolitik engagiert sie sich für Chancengleichheit: Oft genug scheitert sie dabei nicht nur an den Gegenstimmen einer konservativen Mehrheit. Auch vielen Männern aus dem eigenen linken Lager gehen ihre Forderungen nach weiblicher Selbstbestimmung zu weit.

Brandrede in Weiden in der Oberpfalz

Davon lässt sich die kämpferische Sozialdemokratin aber nicht bremsen. In ihrem Wahlkreis Niederbayern-Oberpfalz wird sie mehrfach als Abgeordnete wiedergewählt. Als die NSDAP immer deutlichere Wahlerfolge feiert, ist Toni Pfülf eine, die nachdrücklich vor Adolf Hitler warnt. Aber vergeblich: Knapp zwei Monate nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, am 21. März 1933, später als "Tag von Potsdam" bekannt, kommt der neu gewählte Reichstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Großer Staatsakt in der Potsdamer Garnisonkirche. Die SPD-Fraktion bleibt dem Festakt aus Protest geschlossen fern. Abgeordnete der Kommunistischen Partei sind da schon im KZ oder untergetaucht.

Als zwei Tage später dann im Parlament das Ermächtigungsgesetz zur Abstimmung ansteht, sind die insgesamt 94 SPD-Abgeordneten die einzige Fraktion, die dagegen stimmt.

Die politischen Entwicklungen stürzen die bayerische Sozialdemokratin in tiefe Verzweiflung. Nur wenige Wochen später stirbt Toni Pfülf in ihrer Münchner Wohnung in der Kaulbachstraße an einer Überdosis Schlaftabletten. Aus ihrem Abschiedsbrief klingt tiefe Enttäuschung über die Genossen, die aus ihrer Sicht zu schnell klein beigegeben haben: "Dass ihr alle zusammen (...) nicht versucht habt, auf jede Gefahr hin Widerstand zu leisten, das kann ich nicht ertragen".


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