8. Dezember 1985 Erste Folge der "Lindenstraße"
Eine Adresse in Deutschland kennt über Jahrzehnte nahezu jeder und keinen stört es, dass die "Lindenstraße" in München spielt, aber in Köln gedreht wird. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind durchwegs Menschen von nebenan. Es geht um Liebe, Leid, Freundschaft und Intrigen. Autorin: Susi Weichselbaumer
08. Dezember
Donnerstag, 08. Dezember 2022
Autor(in): Susi Weichselbaumer
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Düdeldidüdü düdüdüdüüüü ... diese Melodie öffnete eine neue Welt im bundesrepublikanischen Fernsehen. Im Grunde war es bloß eine Straße. In der war es, wie in allen anderen Straßen auch: Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen. Trotzdem. Oder gerade deshalb. Oder vielleicht auch einfach mangels Alternativen. Denn außer "Tatort", "Verstehen Sie Spaß" und "Unsere kleine Farm" war wenig los auf den Bildschirmen, schon gar kein echtes Leben. Zumindest kein heimisches. Die Serien kamen überwiegend aus den USA.
Neue deutsche Serienwelt
Düdeldidüdü düdüdüdüüüü ... dann aber kommt am 8. Dezember 1985 die "Lindenstraße". Hausmeister Egon Kling, nach eigener Auskunft Universalhandwerker, begrüßt neue Mieter in Haus Nummer 3. Seine Frau Else hat direkt was zu Meckern. Sunnyboy Stefan Nossek mit der dunklen Haartolle beißt sich beim Warten auf den Aufzug an der zugeknöpften Berta Griese charmtechnisch die Zähne aus. Mutter Beimer ruft Hausarzt Dr. Dressler, weil das jüngste der drei Beimer-Kinder, Klausi, Masern hat. Und weil sie Rat braucht: Die Älteste, Marion, hat sich in den Sohn des griechischen Gastwirts die Straße runter verliebt. Dr. Dressler schmunzelt: "Einer solchen Infektion ist medikamentös leider nicht beizukommen. Die muss man schon so durchstehen."
Überhaupt wird die nächsten 34 Jahre - so lange läuft die Serie - viel geschmunzelt und durchgestanden. Insgesamt 87.000 Drehbuchseiten lang. Gerne mit Bezügen zur Gegenwart. Da finden Bundestagswahlen parallel zu echten Wahlen statt, an Silvester begießen und beböllern auch die Lindenstraßenbewohner das neue Jahr, zu Fußball-WM-Zeiten geht man mit Trikot und Fanschal ins Café von Gabi Zenker, ehemals Zimmermann, davor Skabowski. Tatsächlich wird es irgendwann wirr.
Zwischen all den zeitgenössisch aktuellen Themen - Aids, Antiatomkraft, Abschaffung des Paragraphen 175, Corona - verliert man als nicht-all-sonntäglicher Dauerseher ein bisschen den Faden: Welche Läden gibt es noch? Wo ist eigentlich? Und vor allem: Wer ist jetzt mit wem und warum?
Komplexe Irrungen und Wirrungen
19 Mal lassen sich Figuren in der Lindenstraße scheiden. 37 Mal wird geheiratet. Wobei Helga Beimer sich zweimal mit Erich Schiller traut, der sie "Pummelchen" nennt. Ihr Ex-Mann Hans - der früher zu ihr "meine Taube" sagte, sagt nun "meine Schöne" zu Anna Ziegler. Die er in zweiter Ehe heiratet, von der er sich wieder trennt oder sie sich von ihm, wobei sie später nochmal zusammenkommen. Am Ende stirbt Annas Mann Hans, den Erichs Frau Helga trotz allem nach wie vor "Hansemann" ruft, in den Armen beider Frauen. Es ist komplex.
21 Babys werden insgesamt geboren. Sieben Mal ziehen neue Ärztinnen und Ärzte in die Praxis ein, die einst Dr. Dressler gehörte. Nach 1.758 Episoden ist Schluss. Die Produktionskosten seien zu hoch, heißt es in der Pressemitteilung des WDR 2020 dazu, inhaltlich komme das Format der Wirklichkeit nicht mehr hinterher. Vielleicht ist der "Lindenstraße" auch das passiert, was vielen Serien irgendwann passiert: Wenn jeder mal mit jedem was hatte, ist eben einfach die Luft raus. Was bleibt, sind Erinnerungen an eine früher mal feste Adresse - Düdeldidüdü düdüdüdüüüü!