Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Oktober 1799 Romantiker lachen sich schlapp über Schillers Lied von der Glocke

Es gehörte lange, lange zum Kanon der deutschen Literatur: Schillers "Lied von der Glocke". Es ist eines der bekanntesten, am meisten zitierten, aber auch parodierten deutschen Gedichte. Und sein Potential zur Parodie wurde auch schon von Anfang an erkannt - etwa von Caroline Schlegel. Autor: Simon Demmelhube

Stand: 20.10.2023 | Archiv

20 Oktober

Freitag, 20. Oktober 2023

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Frank Halbach

Also wirklich! Erst den lieben langen Tag strawanzen, rauchen, trinken, schwafeln, dann abends feiern, bis der Morgen graut! Na ja, sind halt Studenten, und davon gibt es in Jena mehr als genug. Schlimm nur, dass die Herren Professoren ihnen in puncto Lotterleben kaum nachstehen. Auf der Straße immer hübsch würdevoll, doch wenn die Vorhänge zu sind, man kann sich's ja denken: Lockeres Reden zeugt lockere Sitten! Nein, den Jenaer Bürgern ist das gelehrte Treiben in summa ganz und gar nicht geheuer.

Poetisch und romantisch

Und am wenigsten das des schrägen Kleeblatts in der Leutragasse. Da wohnen August Wilhelm und Friedrich Schlegel, und beileibe nicht alleine. Die Brüder haben sich mit ihren Herzensdamen eingenistet: August Wilhelm mit seiner Frau Caroline, Friedrich mit seinem Bettschatz Dorothea Veit. Gut angeschrieben ist keine von beiden. Caroline ist geschieden, war als Jakobinerin in Festungshaft, hat eine uneheliche Tochter. Sie gilt als blitzgescheites, höllisch kluges, aber mörderisch gehässiges Lästermaul. Und die andere, die Veitin, Gott, dass sich die nicht schämt! Auch geschieden und mit dem acht Jahre jüngeren Friedrich in wilder Ehe zu Gange.
Die vielen Besucher scheint das nicht zu stören. Jeden Mittag und Abend haben die Schlegels große Gesellschaft, ein Taubenschlag ist nichts dagegen. Madame Caroline tischt auf, erst wird gegessen, dann endlos palavert. Symphilosophieren nennen sie das gesellige Quasseln über Leben und Kunst. Poetisch muss alles sein und ein Riesendurcheinander, das ist dann romantisch, wie die neue Dichtermode heißt.

Gereimtes Elend!

Auch am 20. Oktober 1799 schwirrt das Haus mittags wie ein Bienenstock. Man schmaust, schwatzt und blättert in Schillers neuem Musenalmanach. "Mal schauen, was drinsteht. Aha, Balladen! Und hier Das Lied von der Glocke. Komm, Friedrich, lies vor!" Der Anfang geht noch: "Von der Stirne heiß, rinnen muss der Schweiß". Aber dann kommt es dick: "Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder". Wie albern! Er draußen im feindlichen Leben, sie drinnen das fromme Heimchen am Herd, das Muttertier, die fleißige Gebär- und Versorgungsmaschine. Zum Piepen, wenn es nicht so furchtbar traurig wäre! Schillers Hausvatergehabe stößt den Frauen des Romantikerkreises sauer auf. Sie wollen mehr als Kirche, Küche und Kinder. Sie glauben an gleiche Rechte und fordern Augenhöhe ein!
Und überhaupt! Das ganze gereimte Elend singt nicht und klingt nicht, da schlägt kein fühlendes Herz. Das stakst auf Stelzen hölzern daher, leiert von einer Sentenz zur nächsten. Caroline rollt schon die Augen, Dorothea gähnt, jemand reimt "Ganz der alte Schiller, nur belehren will er". Da ist nichts mehr zu retten. Die Runde johlt, alles wiehert, das Großgedicht geht kläglich im Gegacker unter.
Das muss Caroline unverzüglich brühwarm weitertratschen. "Gestern Mittag", schreibt sie ihrer Tochter, "sind wir über Schillers Lied von der Glocke fast vom Stuhl gefallen vor Lachen, das Elend ließe sich gewiss ganz herrlich parodieren".
Ja, das könnte klappen, zum Beispiel so: "Loch in Erde, Bronze rin, Glocke fertig, bim, bim, bim".


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