Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. April 1828 René Caillié entzaubert Timbuktu

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Stand: 20.04.2010 | Archiv

20 April

Dienstag, 20. April 2010

Autor: Hans Werner Gille

Redaktion: Thomas Morawetz

Die Reise nach Timbuktu ließ er sich nicht ausreden. Timbuktu, das war eine Zauberformel, das war Magie, das war Verführung pur. Timbuktu hatte es ihm angetan. Bevor Goethe die Verse zum "West-Östlichen Diwan" niederschrieb, sprach René Caillié laut die Worte Suleika, Suleiman, Minarett, Sahara, vor sich hin. Diese Namen beflügelten seine Phantasie - von der es doch so schön heißt, sie sei die Königin aller geistigen Gaben. Sie verarbeitet das Fremde mit den eigenen inneren Bildern, und so entsteht aus Träumen und Tatsachen eine neue Wirklichkeit.

Die weit vor den Toren Europas gelegene Wüste Sahara faszinierte die Europäer. Im 18. Jahrhundert war sie noch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ein Stück Himmel, ein Stück Hölle auf Erden? Niemand wusste Genaues. 1826 war es dem Schotten Alexander Gordon Laing als erstem Europäer gelungen, bis zu der geheimnisvollen Wüstenstadt Timbuktu vorzudringen. Allerdings wurde Laing auf der Rückreise umgebracht, und über seine Reise war zunächst nicht viel zu erfahren. Aber den Franzosen Caillié ärgerte es, dass im Herzen Afrikas offensichtlich die Briten den Franzosen den ersten Rang streitig machen wollten im Wettlauf um Entdeckungen und Kolonien.

1827 brach er also auf. "Durst, Hitze, Sandstürme, Fieber, Schwäche", notierte er in sein Tagebuch. "Misstrauische Eingeborene, stumm betrachten sie uns ... Raub, Mord und Totschlag liegen in der Luft ... Wir lassen uns nicht einschüchtern ... übergeben Geschenke ... Bleibe ich am Leben, so werde ich nicht aufgeben, bis Timbuktu erreicht ist."

Am 20. April 1828 war es so weit. Nun konnte er den Schleier lüften über dem Geheimnis der großen Stadt am Niger und am Rande der Sahara. Was er sah, entsetzte ihn: Elend, Krankheiten, Lehmhütten, Schmutz, Sklavenjäger, abgemagerte Frauen, ausgezehrt von schwerer Arbeit und zahlreichen Geburten, bettelnde Kinder ... und die Männer? Abgesehen von ein paar Karawanenführern, einigen Händlern und den stolzen Wüstensöhnen der Tuareg - Räuber und Tagediebe, Despoten oder Sklaven. Timbuktu, fand Caillié, war ein von der Sonne, der Wüste, der Armut und der menschlichen Grausamkeit gepeinigter Ort.

Im französischen Kolonialministerium war man tief enttäuscht. Von Gold, von fruchtbarem Land für Tausende von französischen Kolonisten, von Afrikanern, die nichts sehnlicher erwarten, als für Frankreich zu kämpfen - davon wollte man hören.

Aber in Cailliés 1830 veröffentlichtem Werk "Journal d’un Voyage a Temboctou" stand nichts davon. Er entlarvte die Afrika-Romantik, die Träume vom dunklen Erdteil, von schwarzen Schönheiten und unermesslichen Reichtümern als Lüge. Auch die Pariser Künstler waren von ihm enttäuscht, allen voran die Maler. Realistische Schilderungen von nackten Sklavinnen, von Haremstänzerinnen, von wilden, vor Kraft strotzenden Häuptlingen, von prächtig uniformierten Sultanen und von Palästen, die vor Gold und Diamanten nur so flimmerten, so etwas hatten sie erwartet. Das ließ sich wunderbar malen; solche Bilder verkauften sich. Wen interessierten schon Armut, Krankheit und Verfall?

Schließlich unterstellte man Caillié sogar, er habe Timbuktu überhaupt nie erreicht. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurde er voll rehabilitiert. Doch da war der Traum von einer unzugänglichen zauberhaften Welt im Herzen Afrikas schon ausgeträumt.


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