Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. Januar 1929 Papierwerke Nürnberg melden Tempo zum Patent an

Kaum wird es kälter, läuft die Nase und läuft und läuft. Da könnte man eine Geschäftsidee draus machen, befinden die Nürnberger Brüder Rosenfelder und vermarkten ihr Tempo-Taschentuch. Ob das aber die Kundinnen und Kunden wollen für ihre empfindlichen Nasen? Durchaus. Autorin: Regina Fanderl

Stand: 29.01.2024 | Archiv

29 Januar

Montag, 29. Januar 2024

Autor(in): Regina Fanderl

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Es ist, na ja, ein wenig unappetitlich, das Thema. Aber man muss ja nicht ins Detail gehen. Und außerdem präsentiert es sich - vor Gebrauch - durchaus ansprechend: das Papiertaschentuch. Schneeweiß, schön gefaltet, sauber duftend und zack: schnell bei der Hand, wenn‘ pressiert und dann: schnell weg damit!

Zack, zack!

Nicht ohne Grund haben die Brüder Oskar und Emil Rosenfelder ihre revolutionäre Erfindung "Tempo" genannt. "Schnell" war das Zauberwort in den wilden Jahren nach dem ersten Weltkrieg. So überlegen die beiden Nürnberger Papierfabrikanten nicht lang und melden am 29. Januar 1929 das Warenzeichen "Tempo" beim Reichspatentamt in Berlin an.

Ob sie wirklich ahnen, wie rasant die von Viren oder Allergien geplagten Menschen von ihrer genialen Erfindung Gebrauch machen? Welch‘ kollektives Aufatmen durch die Reihen von Hausfrauen und Dienstboten geht, weil bei der mühsamen Werklerei an Waschbrett und Holzbottich ein besonders unangenehmes Stück wegfällt? Es wird ja auch viel geschnupft seinerzeit!

Igitt!!

Ärzte preisen die Hygiene: Ein benutztes Stofftaschentuch in der warmen Hosentasche ist schließlich ein Paradies für Krankheitserreger und vor dem alten Brauch, einfach in die Hand zu schnäuzen, warnen sie schon längst.

Es gibt viel zu tun im Heroldsberger Stammwerk. Holzfasern von Laub- und Nadelbäumen werden kleingehäckselt, zu einem Papierbrei gekocht, getrocknet, zu großen Bahnen ausgerollt und am Ende geschnitten.
Jeweils vier Lagen ergeben ein Taschentuch. Die fleißigen Heimarbeiter kommen mit dem Falten kaum noch nach. 18 Papiertüchlein stecken in einer knisternden Pergamentpapierpackung mit dem Aufdruck "Kein Waschen mehr!"

Freilich, ein sanftes, womöglich wohlduftendes Tüchlein darf man sich damals nicht vorstellen. Die Ur-Tempo-Taschentücher ähneln eher dem steifen und kratzigen Toilettenpapier in der alten Bundesbahn. Aber das macht nichts. Ab 1933 steigt die Produktion auf 35 Millionen Päckchen im Jahr und mit dem Einsatz von entsprechenden Maschinen sind es zwei Jahre später gleich dreimal so viel.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Firma der jüdischen Rosenfelders allerdings schon "arisiert". In letzter Minute waren die Brüder vor den Nazis ins Ausland geflüchtet. Den Erfolg heimst Gustav Schickedanz ein, NSDAP-Stadtrat in Fürth und Gründer des Quelle-Versandhauses, der die Rosenfelders nach dem Krieg mit einer lächerlichen Entschädigung abspeist und die Produktion weiter ankurbelt.

Irgendwann kennt jeder das Tüchlein aus Franken mit dem schwungvollen Schriftzug auf der blauen Verpackung. Die Zahl der Menschen, die noch ein frisch gebügeltes Stofftuch benutzen, rutscht in nicht mehr berechenbare Tiefen. Es gibt Kinder, die kennen so etwas nicht mal mehr vom Sehen!

Wie Tesa, Maggi oder Nutella ist Tempo Marke und Gattung zugleich und verkauft sich weltweit. Nur nicht in den USA. Da sitzt zwar heute der zuständige Konzern, doch nordamerikanische Nasen akzeptieren ausschließlich Kosmetiktücher aus der Box!
Sonst alles gut? Naja ... die romantische Filmszene, in der eine Frau dem Geliebten mit einem Papiertaschentuch nachwinkt - passe! Aber was soll’s? Zum Hineinheulen sind die Dinger eh nicht geeignet.


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