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24. Mai 1911 Public Library in New York eröffnet

Bildung und Information für alle Schichten und in diversen Sprachen - als in New York die ersten Besucherinnen und Besucher die neue Public Library betreten, finden sie sich in einem Palast für Bücher wieder. Bücher, die man einfach mal so mit Heim nehmen kann und dann wiederbringt. Autorin: Julia Devlin

Stand: 24.05.2023 | Archiv

24 Mai

Mittwoch, 24. Mai 2023

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Bibliotheken sind Begegnungsorte. Wie auch in Parks, Schulen, Spielplätzen und Märkten kreuzen sich hier die Wege vieler Menschen. Bibliotheken haben dabei größtes Potential. Denn hier kommen Leute verschiedenster Herkunft und verschiedenster Interessen mit einem Universum an Ideen und Informationen zusammen. Und das fast zum Nulltarif. Eine zutiefst demokratische Institution. In Zeiten, wo sich scheinbar überall Gräben auftun, sind solche Orte wichtiger denn je. Denn um Werte zu teilen, muss man auch Orte teilen und die Erfahrungen, die man dort macht.

Ein Ort für alle

Kluge Stadtplaner haben diesen Effekt schon im 19. Jahrhundert erkannt und Markthallen, Museen, Bahnhöfe und Bibliotheken in einem grandiosen, palastartigen Stil gebaut. Mit diesen Gebäuden sagten sie den Menschen: Ihr seid wichtig, ihr seid willkommen, ihr gehört dazu. Teilt euch diesen Raum mit den anderen, die auch wichtig und willkommen sind, die auch dazugehören. Und zusammen schaffen wir etwas Großartiges.

So ungefähr dachten auch einige Bürger von New York, die am Ende des 19. Jahrhunderts Teile ihres Vermögens spendeten, um eine öffentliche Bibliothek zu bauen, die der Metropole angemessen war. Ein ganzer Straßenblock zwischen der vierzigsten und der zweiundvierzigsten Straße und 5th Avenue wurde als Grundstück erworben. Hier stand ursprünglich ein riesiges Wasserbecken, ein Trinkwasserspeicher, der dem Wissensspeicher weichen musste. Nach neun Jahren Bauzeit konnte die New York Public Library am 24. Mai 1911 für das Publikum eröffnet werden.

Bücher für alle

Wahrhaftig ein Palast fürs Volk. Mehrere zehntausend Besucher strömten am ersten Tag in das Gebäude, vorbei an den majestätischen Löwen am Hauptportal, durch das grandiose Vestibül, über marmorne Treppen in das Herzstück des Gebäudes, den Lesesaal mit seiner opulenten Kassettendecke und basilikaartigen Rundbogenfenstern. Und es ging auch sofort los mit dem Ausleihen: Um 9.08 Uhr gab ein Bibliotheksbesucher seinen ausgefüllten Bestellzettel ab und erhielt sechs Minuten später das gewünschte Werk, eine Studie über Nietzsche und Tolstoj - auf Russisch.

Dass ein nicht-englischsprachiges Buch als erstes über den Ausleihtresen gereicht wurde, war nicht verwunderlich. Denn alle New Yorker schlossen ihre Public Library ins Herz, die alteingesessenen genauso wie die vielen, die neu in die Stadt kamen. Gerade für sie war die Bibliothek eine Anlaufstelle, um hier Fuß zu fassen, aber auch, um mit der Kultur ihres Herkunftslandes in Kontakt zu bleiben. Mehr als zwölfhundert Sprachen und Dialekte, alte und moderne, sind heute in den Kollektionen der New York Public Library vertreten, emblematisch für die Diversität der Stadt.

Das Paradies, so schrieb einmal der argentinische Autor Jorge Luis Borges, habe er sich immer wie eine Art Bibliothek vorgestellt. Wenn je eine Bibliothek dem Paradies nahegekommen ist, einem geschützten Ort, an dem Menschen in Frieden und Schönheit beisammen weilen, ist es sicherlich die New York Public Library.


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