Bayern 2 - Das Kalenderblatt


1

19. September 1841 Marie Lafarge wegen Mordes verurteilt

Im Gericht spielte sich ein Drama unter den Gutachtern ab. Am 19. September 1841 wurde Marie Lafarge wegen Giftmordes durch Arsenik verurteilt - das erste toxikologisch gestützte Gerichtsurteil der Geschichte. Autorin: Anja Mösing

Stand: 19.09.2018 | Archiv

19 September

Mittwoch, 19. September 2018

Autor(in): Anja Mösing

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Rechthaber sind wirklich arm dran: Dauernd wissen sie Dinge ganz genau, treffen aber durchweg auf unbelehrbare Stümper. Und dazu werden sie trotz ihres heldenhaften Wissens viel zu wenig bewundert, geschweige denn gemocht. Was für ein Albtraum!

Paradies aller Rechthaber

Nur zu einem Beruf gehört der geradezu unglaubliche Wandel vom verkannten Rechthaber zum verehrten Helden fast schon so, wie das Mehl zum Bäcker:

Es ist der Wissenschaftler. Besonders die Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts hatten große Chancen auf eine Sternstunde des Rechthabens. Es gab einfach noch so verdammt viel zu entdecken! Wem das Schicksal dazu noch eine so große Bühne bereitete wie eine Gerichtsverhandlung und zwar eine, die seit Wochen von der Öffentlichkeit beachtet wurde, der hatte das Paradies aller Rechthaber erreicht.

Mit dem Urteil "schuldig des Mordes" erfüllte sich dieser Traum für Mathieu Orfila am 19. September 1841. Der Professor für medizinische Chemie an der Pariser Universität hatte es seinen Kollegen gezeigt! Und zwar wirklich: Unfassbar hatten die herumgestümpert, als es galt, einen Leichnam so zu obduzieren, dass die eine Frage geklärt werden konnte: Wurde dieser Körper mit Arsenik vergiftet?

Wo hatten seine Ärzte-Kollegen nachgeschaut? Alle vier, die gemeinsam vom Gericht um ein Gutachten bestellt worden waren? Im Magen des Leichnams! Diese Tölpel! Nur weil dort alles landet, was ein Mensch an Lebensmitteln zu sich nimmt. Dass ihr ganzes Vorgehen kompletter Unfug war, hatte Professor Orfila dem Gericht erst einmal schriftlich gegeben. Auch als Gutachter.

Schließlich wusste Professor Orfila es besser! Längst hatte er Aufsätze veröffentlicht, in denen er die neuesten Methoden zum Nachweis des bei Giftmord höchst beliebten Arsens erklärte. Aber diese Ärzte-Kollegen hatten sie halt nicht gelesen.

Und sie hatten sogar mit bestem Gewissen den restlichen Leichnam begraben lassen. Unglaublich, fand der Professor!

Gemeinsames Werkeln am Leichnam

Nachdem das Gericht zunächst noch zwei Apotheker und einen Chemiker beauftragt hatte, um die Arsenik-Frage zu klären und diese nur bestätigen konnten, dass das Essen des Verstorbenen zwar Unmengen von Arsenik enthalten hatte, der Magen aber nicht, kam die große Stunde von Professor Orfila immer näher. Zunächst ließ das Gericht den Leichnam exhumieren, dann hatten alle bisher beteiligten Gutachter - es waren inzwischen schon sieben - nochmal die Chance, in den Aufsätzen des Professors zu spicken und die neuen Methoden anzuwenden! Aber sie scheiterten.

Dem Staatsanwalt wurde es zu bunt. Er bestand auf den Professor! Und der Professor wiederum bestand darauf, die von ihm erläuterte Methode in Anwesenheit aller Kollegen, die zuvor nichts gefunden hatten, anzuwenden. Direkt im Saal neben dem Gerichtssaal. Nach einer Nacht gemeinsamen Werkelns am Leichnam stand das Ergebnis fest: Der Mann war mit Arsenik vergiftet worden, es fand sich in zahlreichen Organen.

Der Professor hatte Recht gehabt. Was für ein Triumph! Als erstes toxikologisch gestütztes Gerichtsurteil machte es Geschichte.

Dass er damit die junge Marie Lafarge, des Mordes überführte? Das ist für einen Rechthaber nur ein Nebenergebnis. Eigentlich ging es ja um etwas ganz anderes…


1