Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. Januar 1865 König Ludwig II. kämpft um Aschaffenburger Stadttor

König Ludwig II. ist damals noch jung, merkt aber, dass ihm das, was seine Räte ihm in Sachen Bauplanung einreden wollen, gar nicht passt. Das Aschaffenburger Stadttor abreißen, um an der Stelle Neues zu schaffen? Nein, da will der Monarch schon ein gewaltig herrschaftliches Wort mitreden. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 16.01.2024 | Archiv

16 Januar

Dienstag, 16. Januar 2024

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Platz da! Macht Platz! Weg mit allem, was den Fortschritt hemmt! Eine neue, beschleunigte, eiserne Zeit bricht an. Eine gierige, gefräßige Zeit, die Platz braucht. Platz für Brücken, Schienen und Straßen. Platz für Bahnhöfe, Maschinenhäuser, Lagerhallen und Fabriken. Aber die alten Städte sind eng, Mauern und Wälle schnüren sie ein, schmale Tore, krumme Gassen und dürftige Straßen knebeln den Verkehr.

Mal was Neues!

Ach, überall wuchert Mittelalter, überall liegt historisches Gemäuer im Weg. So wie in Aschaffenburg, wo das Gerümpel der Vergangenheit die kühnen Wachstumsträume zügelt. Die Eisenbahn ist da, Industrie siedelt sich an, die Bevölkerung wächst, alles schön und gut. Aber längst nicht so schön und längst nicht so gut, wie es sein könnte. Weil das verwünschte Herstalltor noch immer steht, weil dieses steinerne Ärgernis dem Ansturm schwerer Fuhrwerke nicht gewachsen ist; weil Frachtwagen, Karren und Gespanne in der Durchfahrt hängenbleiben und die Zufahrt zum Bahnhof blockieren.

Und dafür was Altes weg!

Da hilft nur eins: Das Tor muss weg! Aber so einfach ist das nicht. Ohne Zustimmung der Obersten Baubehörde und des Königs darf kein Baudenkmal abgerissen werden. Lästig, ja. Aber nicht mehr als eine Formsache glaubt der Aschaffenburger Magistrat und reicht im Oktober 1864 einen Abbruchantrag in München ein. Dort sitzt jetzt seit März ein neuer, ein blutjunger Herrscher auf dem Thron. 18 Jahre ist Ludwig II. erst alt, ein halbes Kind noch, und als unerfahrener Regent dem Willen seiner machtbewussten Minister völlig ausgeliefert.
Und die drängen den König vehement zur Unterschrift. Dass sich der scheue Jüngling ihren Wünschen verweigern könnte, erwartet wirklich niemand.

Und doch passiert genau das! Am 16. Januar 1865 lehnt Ludwig das Bürgerbegehren rundweg ab. Erstens, weil ihm die Modernisten eh schon viel zu viel zinnenfrohes und türmchenstolzes Mittelalter abgebrochen haben. Und zweitens, weil er es kann. Weil er der König ist. Weil er, gesalbt, geweiht, von Gottes Gnaden eingesetzt, allein entscheidet und keine Bevormundung duldet.

Das schmeckt den Ministern gar nicht. Der König will regieren? Das wär ja noch schöner! Die Zeiten sind vorbei. Jetzt schaffen Bürokraten an, und je früher der Monarch das lernt, desto besser. Um den bockigen Souverän auf Spur zu bringen, gibt das Innenministerium heimlich Gutachten in Auftrag, die den Abriss befürworten. Gestützt auf diese zugespielten Expertisen legt Aschaffenburg dem König erneut einen Antrag vor, den das Ministerium mit einem hinterfotzigen Zusatz anreichert. Die Majestät, so heißt es darin, dürfe fest auf die Liebe ihrer neubayerischen Untertanen hoffen, wofern sie dem Fortschritt nicht länger hindernd im Wege stehe. Jede andere Entscheidung indes müsste die Anhänglichkeit der Aschaffenburger Untertanen an Staat und Dynastie nachhaltig schwächen. Aha! So ist das! Ludwig versteht den Wink und stimmt zu. Die gekrönte Abnickmarionette aber will er nie wieder spielen. Lieber zieht er sich dahin zurück, wo ihm niemand verwehrt, ganz König, ganz Parsifal, Lohengrin und Tristan zu sein.


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