Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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23. Oktober 1986 Keith Haring bemalt Berliner Mauer am Checkpoint Charlie

Schon in den 1980er Jahren bemalte er Wände - zum Beispiel in der New Yorker U-Bahn. Natürlich konnte er auch einer ganz besonderen und berühmten "Leinwand" nicht widerstehen, nahm teil am bunt sprühenden Gesamtkunstwerk Berliner Mauer und lieferte sich dafür mit den Ostberliner Wachen ein Katz- und Mausspiel. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 23.10.2023 | Archiv

23 Oktober

Montag, 23. Oktober 2023

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Frank Halbach

Es ist wie so oft, der Trend kommt aus Amerika. Ob in Hamburg, Köln oder München, überall sprayen junge Kreative - genau wie in New York - Graffitis an die Wände. Immer nachts, immer schweißgebadet, aus Angst vor Polizei und Ordnungsamt.
Und plötzlich gibt es einen Ort, wo man angstfrei sprayen kann. Völlig ungehindert, sogar tagsüber, oft unter Beifall staunender Touristen: in West-Berlin!

Die Mauer - größter Malgrund der Welt

Mitte der 70er Jahre beginnen Grenztruppen der DDR die Berliner Mauer zu verändern. Das 1961 aus Backsteinen und Stacheldraht errichtete Ungetüm wird durch Fertigteile ersetzt. Glatte, weiße Betonelemente: 1 Meter 20 breit, 3 Meter 60 hoch, 155 km lang - ein gigantischer Malgrund entsteht.
Anfangs sind es Zeichen und Sprüche, Schmähschriften gegen das SED-Regime. Doch schnell wird die Mauer bunter, immer mehr Bilder entstehen. Der Franzose Thierry Noir wird prominenter Mauermaler. Seine knallfarbigen Profilköpfe sind noch heute zu sehen: in Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin. Namhafte deutsche Künstler halten sich zurück, sie wollen die Schandmauer, wie Willy Brandt sie einst nannte, nicht durch Kunst verschönern.

Star der New Yorker Kunst-Szene kommt nach Berlin

Keith Haring, Star der amerikanischen Pop Art Szene, teilt diese Bedenken nicht. Er malt vorwiegend im öffentlichen Raum, genau das ist die Mauer. Sein Credo: Kunst ist für alle da!
Harings Karriere beginnt im Untergrund, in den U-Bahnstationen von Manhattan.
Mit weißer Kreide zeichnet er auf schwarze, unvermietete Werbeflächen. Das krabbelnde Baby mit dem Strahlenkranz und der kläffende Hund werden zu Markenzeichen seiner über 5 000 Subway Drawings. Die New Yorker lieben die U-Bahnbilder, und der Kunstmarkt auch. Haring lernt Gleichgesinnte kennen: Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol werden seine Freunde.
1986 ist sein Europa-Jahr: erst die große Einzelausstellung in Amsterdam, dann West-Berlin. Rainer Hildebrandt, der Gründer des Mauer-Museums in der Nähe vom Checkpoint Charlie, hat ihn eingeladen. Im Morgengrauen des 23. Oktober 1986 grundieren Museumsleute und freiwillige Helfer 100 Meter Mauer mit gelber Farbe. Um 11 Uhr trifft Haring ein, Presse und Fernsehen warten bereits. Ein Fotograf warnt ihn: Dicht an der Mauer befindest du dich auf DDR-Gebiet, die können dich verhaften.
Das wäre großartig, erwidert der Künstler grinsend. In New York bin ich x-mal verhaftet worden, war immer super Publicity! Als DDR-Offiziere auftauchen, tritt er doch lieber zwei Schritte zurück. Haring versteht kein Deutsch, die Vopos sprechen kein Englisch. Also lesen sie ihre Protestnote einem West-Berliner Polizisten vor. Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel: sind die Grenzer weg, malt Haring weiter, tauchen sie wieder auf, macht er eine Pause. Nach 6 Stunden ist die schwebende, rot-schwarze Menschenkette, fertig, und Haring signiert sein Werk.
Ehrfurcht vor der Arbeit eines international gefeierten Künstlers gibt es nicht, schon nach wenigen Tagen wird Harings Monumentalbild bekritzelt und übermalt. Nicht so die Mauerbilder auf der Ostseite. Aber die East Side Galerie entsteht erst nach der Wende, sie hat ihre eigene Geschichte. Und die steht auf einem anderen Kalenderblatt.


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