Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. Juni 1886 Henri Moissan erzeugt erstmals reines Fluor

Der französische Chemiker Henri Moissan wurde weltberühmt, als ihm nach zahllosen Versuchen die elektrochemische Gewinnung von elementarem, reinem Fluor gelang. Einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Moissan 1906 den Nobelpreis für Chemie erhielt. 1976 wurde sogar ein Mondkrater nach ihm benannt. Autor: Hellmuth Nordwig

Stand: 26.06.2023 | Archiv

26 Juni

Montag, 26. Juni 2023

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Das chemische Element Fluor hat einen zweischneidigen Ruf. Einerseits macht es als Spurenelement unsere Zähne härter. In der Technik braucht man es dagegen vor allem, um Uran für Atombomben anzureichern. Fluorchlorkohlenwasserstoffe waren lange Zeit hervorragende Kältemittel - haben dabei aber die Ozonschicht zerstört. Andere Fluorverbindungen mit dem Kürzel PFAS machen zwar unsere Regenjacken wasserfest, doch sie werden leider als "Ewigkeitschemikalien" Jahrtausende überdauern.

Finger weg von dem Teufelszeug!

Bei Chemikern heißt es über Fluor immer schon: Finger weg von dem Zeug. Die überleben das nämlich so wenig wie alles andere, was ihm in die Quere kommt. Nicht einmal die Glasgefäße, in denen Chemiker normalerweise experimentieren, halten ihm stand. Der Augenhornhaut und der Lunge geht es da nicht besser. Etliche Explosionen, Erblindungen und mindestens zwei Todesfälle von Forschern künden davon, dass sich dieses ätzende Teufelszeug nicht so leicht meistern lässt. Darum hatten Forscher bis Mitte des 19. Jahrhunderts zwar die meisten Elemente herstellen und untersuchen können, aber eine Leerstelle blieb: Reines Fluor zu erzeugen, das schien aussichtslos - einfach viel zu gefährlich.

Der Spezialist für Gift und Explosives

Da brauchte es schon einen wie Henri Moissan. Mit gut 30 Jahren hatte der Pariser Chemiker bereits ausführlich die ebenfalls hochgiftige Blausäure erforscht und reichlich Erfahrung mit Explosivstoffen gesammelt. Ab 1884 wandte er sich dann dem Fluor zu.

Von ihm waren nur Verbindungen mit anderen Elementen bekannt: Der namensgebende Flussspat zum Beispiel, der geschmolzenen Erzen das leichtere Fließen, lateinisch "Fluor", ermöglicht. Oder Mineralien, die selbst leuchten, wenn sie angestrahlt werden - sie "fluoreszieren".

Aus dem Flussspat konnte Moissan die Flusssäure erzeugen. Auch sie ist als extrem ätzende Chemikalie bis heute gefürchtet. Trotzdem ging der Chemiker auf seinem Experimentiertisch nahezu ungeschützt mit der Flusssäure um. "Ach, man macht sie viel schlimmer, als sie in Wirklichkeit ist", meinte er. Allerdings brauchte er Gefäße aus dem sündteuren Platin, alles andere wäre zerfressen worden. Der Labordiener schüttelte nur den Kopf, doch Moissans verwegener Plan ging auf: durch die Flusssäure Strom zu schicken und so am 26. Juni 1886 reines Fluor zu erhalten. Nachgewiesen dadurch, dass es Silizium augenblicklich abfackelte - so aggressiv ist kaum ein anderer Stoff.

Zwei Tage später führte Henri Moissan den Versuch der Akademie der Wissenschaften in Paris vor. Das klappte zwar erst im zweiten Anlauf, aber immerhin - schließlich war die Erzeugung von Fluor aus heutiger Sicht äußerst rustikale Chemie, stets an der Grenze zur Detonation oder Vergiftung aller, die dem Versuch beiwohnten. Henri Moissan hat es sogar geschafft, nicht im Labor ums Leben zu kommen. Sondern mit 54 Jahren an einer Blinddarmentzündung zu sterben - nur zwei Monate, nachdem er einen der ersten Nobelpreise für Chemie erhalten hatte.


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