Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. Februar 1440 Helene Kottanner stiehlt die Stephanskrone

Die königliche Kammerfrau und Schriftstellerin Helene Kottanner war an fürwahr dramatischen Ereignissen im Zusammenhang mit der Geburt des Thronfolgers Ladislaus Postumus von Ungarn beteiligt. Es galt, streng bewachte Stephanskrone an sich zu bringen, um die Thronfolge zu legitimieren. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 22.02.2024 | Archiv

22 Februar

Donnerstag, 22. Februar 2024

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Christian Baumann

Redaktion: Frank Halbach

Nein! Sie lässt sich nicht zwingen! Dazu schon gar nicht! Diese Hochzeit wäre Verrat. Verrat an ihrem jüngst verstorbenen Mann, und Verrat an seinem ungeborenen Sohn. Dass es ein Junge sein wird, haben ihr nicht nur die Ärzte versichert, sie spürt es selbst auch. Und dieser Sohn wird, wie sein Vater Albrecht, Herzog in Österreich sein und die Kronen von Kroatien, Böhmen und Ungarn tragen. So hat sie es an Albrechts Sarg geschworen, das schuldet sie beiden.

Heimlich, still und leise

Aber die Magyaren wollen nicht wieder einen Habsburger als Herrn. Elisabeth von Luxemburg, Albrechts junge Witwe, soll den polnischen König Wladislaus heiraten, so rasch wie möglich. Damit wäre Ungarn für ihren und Albrechts Sohn verloren, und so hat Elisabeth nur eine Chance: Sie muss die Magnaten hinhalten, bis ihr Kind geboren und gekrönt ist.
Dazu braucht sie die altehrwürdige heilige Stephanskrone. Nur wer sie besitzt, ist wirklich König in Ungarn. Und da liegt das Problem: das Herrschaftszeichen wird auf der Plintenburg nördlich von Buda verwahrt. Die Veste gehört zwar Elisabeth, aber ob ihr der Burgvogt die Krone aushändigt, ist zweifelhaft. Immerhin zählt er zu denen, die stark auf ihre Heirat mit dem polnischen König drängen. Bleibt also nur eins: Still und leise stehlen!
Für dieses Geschäft gewinnt Elisabeth ihre Kammerdienerin Helene Kottanner. Der Plan, den beide Frauen aushecken, ist ein raffiniertes Täuschungsmanöver: Die Kottannerin wird mit zwei Gehilfen auf der Plintenburg nächtigen und am nächsten Tag dort weilende Hofdamen zu Elisabeth auf die nahe Burg Komorn bringen. Zuvor jedoch bricht das Trio im Schutz der Nacht die Schatzkammer auf und nimmt die Krone an sich.
Die Strategie geht auf. Da Elisabeths Niederkunft naht, ist es plausibel, dass sie die Hofdamen um sich schart.

Niemand schöpft Verdacht, und als die Plintenburg in tiefster Nachtruhe liegt, machen sich die Diebe ans Werk. Während ihre Begleiter in die Schatzkammer eindringen, kniet die Kottannerin vor der Tür im Gebet. O, wie bang ihr ist! Es ist dunkel, eine winzige Kerze flackert kleinlaut, Schatten zittern, und horch: Was ist das? Klirren da Rüstungen? Sind sie entdeckt? Aber nein, es sind ja nur Schlösser, die aufgefeilt werden.

Die Krone macht den König

In ihrer wuchernden Angst verspricht die Kottannerin der Madonna ein Messgewand, ein Altartuch, eine Wallfahrt zuletzt. Das hilft. Kurz darauf ist alles erledigt. Sie nähen die Krone in ein Samtpolster ein, bringen neue Siegel und Schlösser an, schleichen in ihre Betten zurück.
Wenige Stunden später, im Morgengrauen des 22. Februar 1440, reist der Tross unbehelligt ab. Was das rote Schlittenkissen birgt, das die Kottannerin so fest an sich drückt, ahnt keiner.
Es ist geschafft! Der Allmächtige hat seine Hände über Elisabeth gehalten und wirkt am selben Tag ein weiteres Wunder: Kurz bevor der Trupp spätabends in Komorn eintrifft, bringt Elisabeth ihren Sohn zur Welt. Volle vier Wochen zu früh! "Ganz offenkundig wollte Gott", so deutet es die Kottannerin, "dass unser neuer König in jener Stunde geboren wird, in der Ungarns heilige Krone zu ihm kommt."


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