Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. März 1955 Erste Jugendweihe in der DDR

Eingeschworen werden auf den Staat und die Partei und das möglichst religionsfrei: Die Jugendweihe in der DDR soll jungen Menschen auf den rechten Weg bringen und rüber von der Kindheit in eben dann irgendwann das parteilich bestimmte Erwachsenenleben. Die Idee geht bedingt auf. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 27.03.2024 | Archiv

27 März

Mittwoch, 27. März 2024

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Christian Baumann

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Das Buch ist ein dicker Wälzer: Format A4, 520 Seiten, knapp anderthalb Kilogramm schwer. Und, es ist der Traum eines jeden Verlegers, jedenfalls was die Auflage betrifft: 4 Millionen Exemplare! Ein Bestseller. Ist also "Weltall Erde Mensch" - so heißt das Werk – das meistverkaufte Buch der DDR? Mitnichten, es wurde nie verkauft, es wurde verschenkt. Am Tag der Jugendweihe, ein Präsent des Staates an seinen Nachwuchs.
Aber: Das meistverschenkte ist gleichzeitig auch das am wenigsten gelesene Buch der DDR. Sein Inhalt hat nichts mit den Interessen von 14-Jährigen zu tun. Antworten auf Fragen zu ihrem Hier und Heute finden die frisch Geweihten darin nicht.

Erfindung eines Theologen

Dabei ist das religionsfreie Ritual, als feierlicher Übertritt von der Kindheit in die Erwachsenenwelt, keine Erfindung der DDR. Schon 1852 prägt der evangelische Theologe Eduard Baltzer den Begriff Jugendweihe, als Alternative zur christlichen Konfirmation oder Firmung, und zur jüdischen Bar Mizwa. Ende des 19. Jahrhunderts übernimmt die Arbeiterbewegung das atheistische Fest, besonders in Industrieregionen und Großstädten finden proletarisch geprägte Jugendweihen statt. 

In der jungen DDR ist die Jugendweihe kein Thema, obwohl prominente Kommunisten die Weihe erlebt hatten: Ernst Thälmann im Jahr 1900, Walter Ulbricht 7 Jahre später. Der Kurswechsel der Partei erfolgt auf Ansage aus Moskau. 1954 fordern die Sowjets, dass der Einfluss der Kirchen auf die DDR-Bürger verringert, am besten beseitigt wird. Daraufhin gründet die SED überall im Land Arbeitsgruppen zur Vorbereitung von Jugendweihen.

1955 ist es dann so weit: Am 27. März findet die erste Jugendweihe in Ost-Berlin statt. Bis Juni empfangen über 50.000 Mädchen und Jungen in der DDR die Jugendweihe, rund ein Fünftel aller infrage kommenden Schüler. Die Kirchen protestieren gegen die Abwerbung ihrer Schäfchen, ohne Erfolg.

Der staatliche Druck auf Eltern und Kinder wächst, die anfangs freiwillige Feier wird quasi zur Pflichtveranstaltung. Verweigerern drohen gravierende Nachteile: keine Zulassung zur Erweiterten Oberschule, und somit keine Möglichkeit zu studieren. Im Wendejahr 89 sind es 95 Prozent aller 14-jährigen, die an der Jugendweihe teilnehmen.

Ja, das geloben wir

Die Weihe ist eine festliche Feier mit Kulturprogramm, den Höhepunkt bildet das Gelöbnis. Die Noch-Kinder versprechen, für die Sache des Sozialismus zu kämpfen, und die Freundschaft zur UdSSR zu vertiefen. Die meisten Jugendlichen verdrängen den politischen Charakter der Veranstaltung, sie quälen ganz andere Fragen. Die Mädchen zum Beispiel: Welche Frisur? Was ziehe ich an? Kann ich in Absatzschuhen laufen? Und die Jungs: Wie sehe ich aus, in Anzug, Schlips und Kragen? Und, fast noch wichtiger, die Geschenke, meist Bares von Freunden und Verwandtschaft. Reicht das Geld für ein Kofferradio, oder fürs lang ersehnte Moped?

In den neuen Bundesländern ist die Jugendweihe - sie heißt jetzt Jugendfeier - weiterhin beliebt. Ein Gelöbnis gibt es nicht mehr. Schade eigentlich. Nur mal so eine Idee: Die Demokratie verteidigen und stärken. Ja, das geloben wir! Wäre das nicht ein schönes Versprechen?


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