Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Juli 1959 Drei Jesusse treffen sich zur Therapie

Am 1. Juli 1959 bringt der Sozialpsychologe Milton Rokeach drei Patienten zusammen, die sich für Jesus Christus halten. Das Experiment dauert zwei Jahre. Doch die Männer entwickeln verblüffend schlüssige Erklärungen dafür, warum die beiden anderen nicht echt sein konnten. Autorin: Prisca Straub

Stand: 01.07.2022 | Archiv

01 Juli

Freitag, 01. Juli 2022

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Die drei Psychiatrie-Patienten im Ypsilanti State Hospital in Michigan haben nicht viel gemeinsam. Bis auf die Tatsache, dass jeder von ihnen felsenfest davon überzeugt ist, Jesus Christus zu sein: Clyde Benson, ein alkoholkranker Landwirt mit Aggressionsproblemen. Joseph Cassel, ein talentloser Schriftsteller mit Verfolgungswahn, und Leon Gabor, der nach seinem Militärdienst plötzlich damit begonnen hatte, Stimmen zu hören. - Wie würden die drei Christusse wohl reagieren, wenn man sie - aufeinandertreffen ließe? Würden sie ihre Einzigartigkeit infrage stellen? - Und könnte man sie durch eine Art "Konfrontationstherapie" vielleicht sogar von ihren Wahnvorstellungen befreien?

Das Jesus-Trio von Ypsilanti

Milton Rokeach, Professor für Sozialpsychologie an der Michigan State University, arrangiert ein bizarres Gruppenexperiment. Von den drei Männern, die sich für Christus halten, leben Clyde und Joseph bereits seit Jahren in der psychiatrischen Klinik in Ypsilanti. Leon, den Jüngsten, lässt Rokeach kurzerhand dorthin verlegen. Dann - am 1. Juli 1959 - begegnen sich die drei Jesusse zum ersten Mal. Der Psychologe dirigiert eine bizarre Vorstellungsrunde: "Ich heiße, Clyde. Ich wurde Gott." - "Ich heiße Joseph, und ich bin Gott!" - "Und ich bin Leon. Auf meiner Geburtsurkunde steht, dass ich der wiedergeborene Jesus von Nazareth bin!"

"Ich bin Gott, verdammt noch mal!"

Professor Rokeach bestellt seine Probanden jetzt täglich zur Gruppensitzung. Clyde, Joseph und Leon bekommen gemeinsam ihre Mahlzeiten, sie arbeiten zusammen in der Wäscherei, im Schlafsaal stehen ihre Betten nebeneinander.

Unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen. Es kommt zu lautstarken theologischen Auseinandersetzungen: "Erzählen Sie mir nicht, dass es einen Gott gibt, der größer ist als ich. Ich bin der einzige Gott, verdammt noch mal!". - Der Psychologe nimmt alles auf Band auf.

Schnell kommt es zu Handgreiflichkeiten: "Du solltest die Fakten anerkennen. Ich werde Dich umbringen!" In Einzelsitzungen befragt der Studienleiter jeden separat, was er von der Existenz der beiden anderen halte. Und Rokeach ist sprachlos. Keiner zeigt sich im Geringsten irritiert.

Leon besteht unbeirrbar weiterhin darauf, Gottes Sohn zu sein: "Es gibt ja nur einen!" Clyde erklärt: "Die beiden anderen sind nicht wirklich lebendig. Es sind nur Maschinen, die aus ihnen sprechen." Und Joseph zeigt sich sogar überzeugt, der Psychologe habe das Trio zusammengebracht, um die beiden anderen zu kurieren: "Schließlich sind das Patienten in einer psychiatrischen Anstalt. Sie sind verrückt!"

Doch auf diese Weise werden die drei bald gut miteinander auskommen. Für den Rest des zwei Jahre dauernden Verhaltensexperiments benehmen sich die Jesusse friedlich. Von ihren Überzeugungen rücken sie zwar nicht ab, aber sie gehen religiösen Auseinandersetzungen aus dem Weg. Je weniger sie über ihr jeweiliges Gottsein sprechen, desto besser verstehen sie sich. Milton Rokeach bricht den Versuch schließlich ab. Seine drei Patienten waren übrigens sehr unzufrieden mit ihm. "Das ist krumme Psychologie, den einen gegen den anderen aufzuwiegeln." Fanden sie.


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