Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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13. März 1919 Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung gegründet

Eigentlich ging es Milben und Kakerlaken an den Kragen, doch aus Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung entwickelte sich der grausame Einsatz von Giftgas auch gegen Menschen. Autorin: Justina Schreiber

Stand: 13.03.2019 | Archiv

13 März

Mittwoch, 13. März 2019

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Auch weil er großflächige Experimente ermöglicht, ohne dass sich Forscher allzu lange mit ethischen Grundsätzen herumplagen müssen. Schließlich geht es um nichts Geringeres als den Sieg und damit um ein Ende der Auseinandersetzungen. Ein gängiges Argument. Und schon kommt ein neues, noch unerprobtes Kampfmittel zum Einsatz. Chlorgas zum Beispiel. Wie damals im Ersten Weltkrieg, als die Geschichte der modernen C-Waffen begann. Aber die empirischen Erfahrungen, die die deutschen Chemiker an der Westfront in Flandern sammelten, ließen sich auch in Friedenszeiten nutzen.

Einsatzgebiete…

Hatte man doch – o Wunder! - festgestellt, dass "die verheerende Wirkung der Substanzen" vor der Tier- und Pflanzenwelt nicht Halt machte und ganze Divisionen von Läusen, Flöhen und ähnlichem Ungeziefer ebenfalls den Gasangriffen zum Opfer fielen. Wenn man nun bedenkt, wie sehr sich etwa in Massenunterkünften oder Mietskasernen bei schlechter Hygiene der Befall an Wanzen erhöhte. Wie desaströs es war, wenn Ratten, Mäuse und Motten eh schon knappe Lebensmittelbestände vernichteten. Dann versteht man, dass sich am 13. März 1919, also einige Monate nach Kriegsende, ein gemeinnütziges Unternehmen mit dem seriösen Namen "Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung" gründete. Zehn Firmen steuerten das Startkapital bei; das Deutsche Reich unterstützte das Projekt gerne. Wenn Mücken, Milben, Zecken und Konsorten überhandnehmen, ist nämlich die Volksgesundheit in Gefahr!

Ungeziefer raus!

Die "Degesch" jedoch, die "Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung", hatte sich zum Ziel gesetzt, die im Krieg erprobten chemischen Begasungsverfahren so zu vervollkommnen, dass sie sich "selektiv gestalten" ließen.

Sprich: Nützlinge, ob nun menschlicher, tierischer oder pflanzlicher Natur, sollten die sogenannte "Entwesung" von Mühlen, Laderäumen oder Speichern überleben können, während es für die Zielobjekte kein Entkommen gab. Fort mit Kornkäfern, Kakerlaken und sonstigem Geschmeiß!

Der Plan ging auf – und zwar mit letztlich schrecklicher Konsequenz. Die mächtige Organisation trieb nicht nur die traditionellen Kammerjäger in den Ruin, weil sie das Monopol für alle blausäurehaltigen Insektizide innehatte. Aus ihr ging auch die Firma Tesch & Stabenow hervor, kurz "Testa" genannt. Der Firmeninhaber Paul Tesch belieferte Wehrmachtsstellen und Konzentrationslager mit dem Blausäureprodukt Zyklon B. Der Name des Giftgases, das die "Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung" ursprünglich entwickelt hatte, steht heute für das technisch wie bürokratisch unfassbar perfektionierte, unmenschliche System, mit dem die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden vernichteten. So gesehen, gebiert der Krieg, selbst wenn er Wissenschaft und Forschung irgendwie voranbringt, nur noch größere Ungeheuer.


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