Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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28. Januar 1936 Die Prawda agitiert gegen Schostakowitsch

Dimitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ war ein Riesenerfolg, und auch der allmächtige Stalin war bei der Uraufführung. Leider auf einem miserablen Platz. Kurz darauf fing die „Prawda“ an, sich am Komponisten zu reiben, der nun um sein Leben fürchten musste.

Stand: 28.01.2010 | Archiv

28 Januar

Donnerstag, 28. Januar 2010

Autor(in): Gabriele Bondy

Redaktion: Thomas Morawetz

Es begann mit Pfirsichtorte und Champagner zur Feier seiner 1.Sinfonie. Die hatte der begabte Musikstudent mit dem absoluten Gehör als Diplomarbeit am Konservatorium eingereicht. Sensationell!  Bereits ein Jahr später wurde das frühreife Meisterwerk des 19-Jährigen unter Bruno Walter in Berlin aufgeführt. Alban Berg und Arturo Toscanini gratulierten. Amerika folgte. Leben konnte Dmitri Schostakowitsch von seiner Musik zunächst nicht. Lange musste er sich als Klavierunterhalter im Kino verdingen. Mit fatalen Folgen. Zum Komponieren kam er kaum noch. „Dank meiner gewissen Sensibilität“, klagt Schostakowitsch, „klingt mir, wenn ich nach Hause komme, immer noch die Kinomusik in den Ohren, und vor meinen Augen stehen die Helden und sind mir böse. Infolgedessen kann ich lange nicht einschlafen. Bis dahin wird es vier oder fünf Uhr. Also stehe ich dann morgens sehr spät auf, mit schwerem Kopf und unpassenden Gefühlen.“

Die – anfängliche – Begeisterung für die noch junge Sowjetunion inspirierte den jungen Komponisten zu seiner 2. Sinfonie „An den Oktober“ – eine Hymne anlässlich der Feiern zum 10.Jahrestag der Revolution. Ein avantgardistisches Werk, das ihm allerdings im Westen den Ruf eines propagandistischen Auftragskomponisten bescherte. Zu Unrecht, denn Schostakowitsch hatte mindestens zwei Gesichter. Mit zunehmender Einschränkung der künstlerischen Freiheit – Begleiterscheinung jedes totalitären Systems – entwickelte er eine geniale Doppeldeutigkeit und verstand es sehr wohl, vordergründiges Einverständnis mit verschlüsselter Kritik, Spott und Hohnlachen in seinem Werk unterzubringen.

Mit dem Ballett „Der Bolzen“ lieferte Schostakowitsch eine Groteske über Industriesabotage und damit dem KGB Anlass, ihn schärfer ins Visier zu nehmen.

Allerdings wurde dann seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ ein Riesenerfolg. Auch Stalin kam ins Moskauer Bolschoitheater. Er thronte – aus Angst vor einem Attentat – hinter einem Vorhang verborgen und mit Stahlplatten abgeschirmt – in der Regierungsloge. Dummerweise direkt über dem Orchester, das sein Bestes gab. Besonders die Blechbläser dröhnten dem Diktator die Ohren voll. Stalin, so wird berichtet, soll das Theater bereits während der Vorstellung verlassen haben. Sein Urteil stand fest: „Das ist albernes Zeug, keine Musik!“ Im Zuge der „gnadenlosen Säuberung“, die gekennzeichnet war von willkürlichen Verhaftungen, Verbannungen oder gar Erschießungen der Regimegegner, kam ein solcher Ausspruch einem Todesurteil gleich. Knapp zwei Wochen später, am 28.Januar 1936, erschien mit dem „Prawda“-Artikel  „Chaos statt Musik“, das Echo von Stalins Opernbesuch. Der ungenannte Autor erhob den gefürchteten „Formalismus“-Vorwurf und kritisierte Schostakowitschs „kleinbürgerliches Neuerertum“ und seine „linksradikale Zügellosigkeit“. Monatelang schlief  Schostakowitsch in seinen Kleidern, einen kleinen gepackten Koffer griffbereit. Voller Angst, jederzeit von Stalins Geheimpolizei abgeholt zu werden. Depressionen und Selbstmordgedanken wurden seine ständigen Begleiter.

Schostakowitsch legte sich eine Maske der Ausdruckslosigkeit zu, die es ihm erlaubte, sein wahres Selbst zu verbergen. Bei öffentlichen Auftritten sprach er mit monotoner Stimme. Politische Resolutionen unterschrieb er, ohne sich mit deren Inhalt zu identifizieren. Für die einen war er der Kommunistenknecht, für die anderen der heimliche Dissident. Seiner Schaffenskraft leistete das keinen Abbruch. Doch die Zeit des unbeschwerten Feierns bei Champagner und Pfirsichtorte kehrte nicht zurück.


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