Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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25. Februar 1994 Christo darf den Reichstag verhüllen

Sieht man etwas wirklich besser, wenn es vermummt wird? Unter Umständen schon! Am 25. Februar 1994 stimmte der Bundestag dafür, dass der Berliner Reichstag verhüllen werden darf. Autor: Herbert Becker

Stand: 25.02.2016 | Archiv

25 Februar

Donnerstag, 25. Februar 2016

Autor(in): Herbert Becker

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Im Juni 1985 beschloss der Bundestag das so genannte Vermummungsverbot. Es untersagt den Teilnehmern von Demonstrationen, ihr Gesicht zu verdecken, um so die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Da das Gesetz keineswegs unumstritten war, dürfte bei seiner Verabschiedung im Parlament eine hitzige Debatte stattgefunden haben. Die Befürworter des Verbotes argumentierten, es sei wichtiger, Straftaten angemessen verfolgen zu können als die Anonymität von Demonstranten zu gewährleisten; die Gegner meinten, das Verbot sei kein angemessenes Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Über 20 Jahre Geduld…

Neun Jahre später ging es bei einer anderen, ebenfalls ausgesprochen emotional geführten Diskussion im Bundestag nicht darum, inwieweit sich Personen verhüllen dürfen, ihr Gegenstand war vielmehr die Frage, ob man ein Gebäude verhüllen darf – und zwar nicht irgendeines, sondern den Reichstag in Berlin. Seit über zwanzig Jahren hatte sich das Künstlerpaar Christo und Jeanne Claude um die Genehmigung fürdieses Projekt bemüht. Doch erst Anfang der 1990er-Jahre, nach der Zusage der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die Aktion zu unterstützen, zeichneten sich ernsthafte Chancen auf eine Verwirklichung ab. Allerdings gab es immer noch so viel Widerstand gegen das Unternehmen, dass der Ausgang der Bundestagsdebatte zum Thema "Verhüllter Reichstag - Projekt für Berlin - Drucksache 12/6767" vom 25. Februar 1994 keineswegs gewiss war.

Auch diesmal hatten Gegner wie Befürworter gute Argumente. Die ersteren vertraten die Ansicht, das Reichstagsgebäude, in dem sich die letzten 120 Jahre deutscher Geschichte widerspiegelten, sei ein politisches Symbol ersten Ranges und eine Verhüllung mit seiner Würde keinesfalls vereinbar. Die Fürsprecher argumentierten unter anderem, gerade die zeitweilige Verhüllung eröffne die Chance, den Bau in seiner Eigenart neu wahrzunehmen; die Bilder von dem verhüllten Reichstagsgebäude, die um die Welt gehen würden, seien bessere, friedlichere Bilder von Deutschland, als diejenigen, die man bislang kenne.

…für zwei Wochen

Nicht nur unterschiedliche politische Ansichten prallten aufeinander, sondern auch sehr verschiedene Auffassungen von Kunst. Die Mehrheit, mit der sich der Bundestag schließlich für die Genehmigung der Aktion entschied, war knapp - und vermutlich kam sie nur deshalb zustande, weil die Verhüllung den Steuerzahler nichts kostete, die verwendeten 100.000 Quadratmeter Polypropylengewebe in den Neuen Bundesländern hergestellt und auf diese Weise Arbeitsplätze geschaffen wurden, und weil das Material wiederverwendet werden konnte. Vielleicht spielte auch das Argument ein Rolle, dass der Reichstag bald darauf ohnehin ein weiteres Mal verhüllt wurde - von Bauhandwerkern, die ihn mit einem Gerüst versahen und mit Planen verhängten, um ihn zu renovieren.

Die fünf Millionen - zum größten Teil begeisterten - Besucher, die sich während der zwei Wochen der Verhüllung den Reichstag ansahen, gaben wohl eher jenen Parlamentariern recht, die für die Genehmigung gestimmt hatten. Wahrscheinlich nahmen viele von ihnen das Gebäude überhaupt zum ersten Mal wahr.Inzwischen werden wieder Probleme diskutiert, in deren Mittelpunkt die Frage steht: Verhüllung ja oder nein? Die Rede ist vom Burkaverbot. Für den Fall, dass es jemals zum Gegenstand einer Bundestagsdebatte werden sollte, wird es wohl abermals äußerst emotionsgeladene Debatten geben.


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