Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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22. November 1948 Aus für Gartenzwerge in der DDR

Gartenzwerge tragen rote Mützen. Trotzdem sind sie im Sozialismus unerwünscht, lernen die Porzelliner in Thüringen. Die Zwergen-Produktion wird offiziell verboten. Zu bürgerlich, der Bursche. Autorin: Prisca Straub

Stand: 22.11.2017 | Archiv

22.11.1948: Aus für Gartenzwerge in der DDR

22 November

Mittwoch, 22. November 2017

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Julia Zöller

Sie tragen Bart und Mütze am rechten Fleck - sind sittsam, strebsam und freundlich - und gönnen sich ein Pfeifchen höchstens mal nach Feierabend: Geschätzte 30 Millionen Gartenzwerge bevölkern Deutschlands Vorgärten, Terrassen und Balkone. Grässlicher Kitsch für die einen - für andere die höchste Zier.

Gräfenroda, ein kleiner Ort am Rande des Thüringer Walds: Hier, südwestlich von Erfurt, erblickte der Gartenzwerg Ende des 19. Jahrhunderts das Licht der Welt - ein hart arbeitendes Grubenmännchen mit schwerer Gerätschaft - Spitzhacke, Schubkarre, Laterne - das Porzellangesicht voller Falten und Runzeln. Damals hinterließ ehrliche Arbeit noch Spuren. Die Porzelliner aus Gräfenroda jedenfalls gaben Jagdhund, Vogel, Storch und Rehkitz den Laufpass und modellierten hauptberuflich kleine Wichtel mit roter Mütze. Ein wahrer Gartenzwerg-Boom erfasste die Kleinstadt, ein Bekenntnis zur freiwilligen Kleinheit.

Zwerge sind keine Kommunisten

Doch die 30er Jahren des letzten Jahrhunderts machten Schluss damit: Alte Männer - Wichtel noch dazu - waren der emporstrebenden "Herrenrasse" ein Dorn im Auge. Der Knirps taugte nicht zum Nazi, und die Zwergen-Produktion schlief ein. Dann, Kriegsende 45 - umso größere Hoffnung für den fleißigen Arbeiter! Die rote Mütze hätte den sowjetischen Machthabern doch prächtig in den Kram passen müssen! Doch weit gefehlt. Am 22. November 1948 kam es zu einem Produktionsverbot für Gartenzwerge in der gesamten sowjetischen Besatzungszone: Den Kommunisten war der Zwerg zu bürgerlich! Ein neuer Tiefschlag! Man sattelte also wieder einmal um in Gräfenroda - und produzierte Spardosen, Sparpilze und Kresseköpfe. Politisch unverfänglich und parteikonform.

Doch dann geschah etwas Seltsames: Nur vier Jahre nach dem Verbot - heimlich still und leise - wurde die Produktion wieder angeworfen. Was war geschehen?

"Spezielle Ausfuhrgenehmigung" hieß es hinter vorgehaltener Hand - in "nicht-sozialistische Wirtschaftssysteme". Sprich - der kleine Mann wurde auf große Reise ins westliche Ausland geschickt. Das verhasste bourgeoise Objekt sollte Feindesland unterwandern! Waggonweise wurde der Winzling auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs geschafft. Wovon DDR-Bürger jahrzehntelang träumten - dem Gartenzwerg gelang es mühelos. Und er wurde ein überaus guter Devisenbringer.

Paragrafen-Wichtel

So hat der Wichtel aus Gräfenroda die Ideologien des 20. Jahrhunderts dann irgendwie überstanden. Was ihm heute Sorge bereitet, sind rotbemützte Knirpse aus Fernost. Denn nichts ist geblieben von seinen markigen Altherren-Zügen. Die pausbäckige Konkurrenz aus Plastik lächelt aalglatt vor sich hin - und liegt faul in der Gegend herum. Mit Badehose! Und sogar ohne!

Doch natürlich gibt es Zeitgenossen, die bei allen roten Mützen rot sehen. Wenn so ein Wicht in Nachbars Garten auftaucht, ist der Spaß für sie zu Ende. Mancher Streit um eine überbordende Terrassendekoration endet sogar vor Gericht. Es gibt Zwerge, die gegen das Wohnungseigentumsgesetz, das Nachbarschaftsrecht, das Baugesetz und das Bürgerliche Gesetzbuch verstoßen. Gartenzwerge können beleidigen, belästigen und sogar Wohnwert mindern. Armer Zwerg! Dabei bist Du seit bald 150 Jahren vielleicht noch der Normalste unter all den Rechthabern!


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