Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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17. Oktober 1956 Der 13-jährige Bobby Fischer besiegt Meister im Schach

Als 13-Jähriger gewann Bobby Fischer eine bedeutende Schachpartie. Wie nah Genie und Wahn beieinanderliegen können, zeigte seine weitere Biografie. Autorin: Christiane Neukirch

Stand: 17.10.2017 | Archiv

17 Oktober

Dienstag, 17. Oktober 2017

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Der Schachmeister Donald Byrne staunte wohl nicht schlecht, als ihn sein 13-jähriges Gegenüber mattsetzte. Aber weder er noch die anderen Anwesenden im Saal ahnten, welche Sprengkraft noch in ihm steckte. Jenes denkwürdige Spiel vom 17. Oktober 1956 ging später als "Partie des Jahrhunderts" in die Schachgeschichte ein. Denn der Junge, Bobby Fischer hieß er, machte von da an steile Karriere. Zwei Jahre später war er amerikanischer Landesmeister, und 1972 trat er gegen die Schach-Weltmacht Sowjetunion an, verkörpert von Boris Spasski.

O’er the land of the free and the home of the brave!

Das war nicht nur ein sportlich bedeutsames Ereignis: hier standen sich im Wettkampf die beiden Supermächte des Kalten Krieges gegenüber – und dieser Tatsache ist es wohl zu verdanken, dass damit nicht nur Fischers Karriere als Schachgenie begann, sondern auch als König der Allüren.

Gegen Spasski wollte er erst gar nicht antreten – das Preisgeld erschien ihm zu niedrig; doch als größtes Ass der Nation war er ein Trumpf im Ärmel der USA. Erstmals nach 24 Jahren bestand die Chance, die UdSSR zumindest im Schach zu besiegen. Ein amerikanischer Geschäftsmann legte eine ordentliche Summe obendrauf; und auf das Drängen des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger: "Amerika wünscht, dass Sie hinfahren und den Russen besiegen" fuhr Fischer schließlich nach Reykjavik und spielte.

Doch der Wettkampf war durchzogen von nervenstrapazierenden Verzögerungen, die Fischer inszenierte. Mal war ihm das Licht zu dunkel, dann zu hell, das Brett zu fleckig, der Tisch zu hoch, die Kameras zu laut und das Publikum zu kinderhaltig. Unerbittlich saß er die Beseitigung der Missstände aus. Dann spielte er und besiegte den Russen. Welchen Anteil daran seine Schachkünste hatten und wie weit seine Kapriolen den Gegner zermürbt hatten, bleibt ungeklärt.

Die russische Delegation vermutete biologische Kriegsführung und ließ die Raumluft auf chemische Substanzen prüfen und die Stühle mit Röntgenstrahlen durchleuchten - und fand tatsächlich eine Leiche: eine tote Fliege. Es nützte nichts: Bobby Fischer war neuer Weltmeister.

Then conquer we must…

Doch schon drei Jahre später sank sein Stern. 1975 sollte er gegen Anatoli Karpow antreten, um den Titel zu verteidigen. Diesmal wartete Fischer mit einem Katalog von 179 Spezialforderungen auf. In fast allen kam man ihm entgegen, doch mit der letzten trieb er es zu weit. Sie enthielt allzu originelle Änderungen an den Spielregeln. Fischer trat also nicht an, und der Weltmeistertitel ging auf Karpow über.

Von Fischers Talent bekam die Welt von da an nicht mehr viel zu spüren – wohl aber von seinem Hass, einer flammenden Energie, die auch hinter seinen Erfolgen gesteckt haben mag. "Ich genieße es, wenn sich der Gegner windet", sagte er schon als 14-Jähriger, und später: "Ich genieße den Augenblick, wenn ich das Ego eines Mannes zerstöre." Man weiß von ihm, dass er auch den Augenblick der Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center genoss und er sympathierte mit dem Leugnen des Holocaust. Die einzige öffentliche Schachpartie, die er noch spielte, fand 1992 in Belgrad statt – mitten im Bosnienkrieg, als ein Wirtschaftsembargo der USA jedes Geschäft mit Jugoslawien verbot. Fischer strich ein Preisgeld von 3 Millionen Dollar ein und brach damit alle Brücken zu seiner Heimat ab. Er starb 2008 im Exil – in Reykjavik, dem Ort, an dem er seinen größten Sieg errungen hatte.


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