Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. September 1890 Louis Le Prince, Filmpionier, verschwindet

Vielleicht lag er irgendwo, tot, vielleicht spazierte er inkognito herum und überlegte sich einen neuen Namen. Vielleicht war es ganz anders. Fest steht: Am 16. September 1890 ist Louis Le Prince, Erfinder des Films, verschwunden.

Stand: 16.09.2014 | Archiv

16 September

Dienstag, 16. September 2014

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Am Dienstag, den 16. September 1890, um 14.42 Uhr bestieg der französische Erfinder Louis Le Prince in Dijon den Zug nach Paris. Der Zug fuhr los, dampfte nach Paris, hielt dort an und ließ die Leute aussteigen. Wer nicht ausstieg, war Louis Le Prince. Er war aber auch nicht mehr im Zug. Womöglich war er schon vorher ausgestiegen. Aber auch dann hätte er irgendwo sein müssen. War er aber nicht. Monsieur Le Prince war ganz einfach - verschwunden.

Drei Erfindungen auf einmal!

Währenddessen sitzt in New York Mrs Le Prince samt Kindern und wartet auf die Rückkehr des Gatten. Dauert nicht mehr lang, hat er geschrieben, ich komme bald nach Hause, muss nur noch ein wenig Geld locker machen für mein Projekt. Das Projekt, an dem Le Prince arbeitet, ist nicht mehr und nicht weniger als Gerätschaften zur Aufnahme und Wiedergabe bewegter Bilder.
Eine Zukunftsvision, mit der sich Le Prince ganz schön was aufgehalst hat. Drei Dinge muss er gleichzeitig erfinden: Eine Kamera, die schnell hintereinander einzelne Bilder aufnimmt, einen Projektor, der diese Bilder genauso schnell wieder abspult, und einen Film, auf dem diese Bilder festgehalten werden können.

Das erste Problem hat Le Prince schon gelöst. Er hat eine Kamera mit sechzehn Linsen gebaut, die in rasch wechselnder Reihenfolge einen Film belichten. Schwieriger ist die Sache mit dem Film. Jahrelang brennt ihm die Hitze des Projektors Brandblasen in den Film. Wie besessen experimentiert Le Prince in seinem kleinen Laboratorium. Er kommt vorwärts, dreht Filmchen von seinem Schwiegervater, wie er auf der Wiese steht und guckt. Zwölf Bilder pro Sekunde. Er führt die Filmchen vor, um Geldgeber zu gewinnen, und all das im Wettlauf mit der Zeit, denn er weiß: Drüben in den Staaten arbeitet die Erfinderwerkstatt von Thomas Alva Edison ebenfalls am Problem der bewegten Bilder.

Das größte Problem ist das Geld. Mittlerweile zieren sich die Banken, und so müssen die Verwandten ran. Darum ist Le Prince vor ein paar Tagen nach Dijon gereist. Doch auch der Bruder will nicht mehr. Er hat dem verrückten Erfinder schon genug gegeben, ein Vorschuss auf die Erbschaft kommt nicht in Frage. Und so steigt Louis Le Prince, den nur noch wenige Jahre, die er nicht hat, und wenige Kredite, die er nicht bekommt, vom Erfolg seiner Erfindung trennen, am 16. September 1890 um 14.42 Uhr in den Zug von Dijon nach Paris und kommt dort nicht an.

Konkurrent unter Mordverdacht

Zwei Monate lang wartet die Familie in New York. Zwei Monate lang gibt sie Suchanzeigen in europäischen Zeitungen auf. Aber: Le Prince ist und bleibt verschwunden. Jahrelang beschuldigt die Witwe Thomas Alva Edison:
Er habe ihren Mann umbringen lassen, um einen Konkurrenten zu beseitigen. Aber damit kommt sie nicht durch. Edison ist nichts nachzuweisen. Vielleicht, sagen die Kinder, vielleicht hat sich der Vater ja einfach abgesetzt, weil er nicht mehr weiter gewusst hat. Eine neue Identität angenommen, irgendwo fern von daheim, wo ihn keiner kennt, um sich und ihnen die Schmach des Scheiterns zu ersparen. Ein letzter Ausweg, lächerlich und erhaben zugleich, für einen Mann, der seine Ehre nicht verlieren wollte. Vielleicht ist es ja so gewesen. Vielleicht aber auch nicht. Man wird es nie erfahren.


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