Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. September 2001 Beethovens Neunte wird geistiges Weltkulturerbe

Was kann schon dabei rauskommen, wenn ein Tauber komponiert. Klar: was bestenfalls Triviales, eher etwas Monströses. Und: die wohl berühmteste Melodie der klassischen Musik - ein Welterbe. Autorin: Leo Hoffmann

Stand: 04.09.2015 | Archiv

04 September

Freitag, 04. September 2015

Autor(in): Leo Hoffmann

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Im Herbst 1823 ringt er sich endlich dazu durch: Er würde seine Neunte Sinfonie beenden und zwar mit einem vokalen Teil! Egal, wie unüblich das war, egal, wie sehr die Musikwelt ihn dafür abstrafen würde! Schließlich hatte er schon, als er noch Bratschist im Bonner Hoforchester war, davon geträumt, Schillers Hymnus “An die Freude“ zu vertonen. Ludwig van Beethoven schmeißt seine Entwürfe für ein "finale instromentale" der Neunten in die Schublade, holt neues Notenpapier und schreibt: e e f g / g f e d ... Der vierte Satz seiner neunten und letzten Sinfonie nimmt Form an.

"Zu lang, unausgewogen, trivial und monströs…"

Wie erwartet, sind bei der Uraufführung am 7. Mai 1824 die Reaktionen gespalten:
Die Wiener applaudieren frenetisch. Beethoven kann den Beifall nur sehen, er ist längst taub. Die Fachwelt aber schnödet über dieses Opus 125 in d-moll: "Zu lang" meckern die einen, "unausgewogen" finden die anderen. Ludwig Spohr - damals tonangebend in der Musik - kann der Neunten gar keinen "Geschmack abgewinnen". Erst recht nicht Beethovens gesanglicher Umsetzung von Schillers Ode. "Trivial" sei Beethovens Auffassung des Gedichts urteilt Spohr, ja geradezu "monströs“.

Doch wer hört heute noch Ludwig Spohr? Beethovens "Ode an die Freude" hingegen entwickelt sich zum Gassenhauer! Kaum einer, der sie nicht mit dem Schulchor einübt. Das geteilte Deutschland stellt sie zeitweilig als Ersatzhymne in Dienst: Unter ihren Klängen laufen die gesamtdeutschen Mannschaften in den 50er- und 60er-Jahren in die Olympia-Stadien ein. Der Europarat ernennt sie 1972 zu seiner Erkennungsmelodie. Und womit feiern die beiden großen Orchester Berlins 1989 die Wiedervereinigung? Natürlich mit Beethovens Neunter. Ihren Schlusssatz hat der Dirigent Leonard Bernstein dafür umgedichtet: Aus "Freude, schöner Götterfunken" wird "Freiheit, schöner Götterfunken".

… aber Flashmob-tauglich und Smartphone-affin

Im 21. Jahrhundert kommt die Neunte weiter zu politischen Ehren: Als der Kosovo 2008 seine Unabhängigkeit erklärt, untermalt die “Ode an die Freude“ die Zeremonie. Beethovens handschriftliche Partitur, die in den Wirren des Zweiten Weltkriegs beinahe verloren ging, erklärt die UNESCO am 4. September 2001 zum Weltdokumentenerbe. Seitdem erobert ihr letzter Satz Hauptbahnhöfe, Fischmärkte und Shopping-Malls. Wer irgendwo im öffentlichen Raum die Tonfolge e e f g / g f e d geflötet hört, kann wetten, dass gleich ein Bass und weitere Instrumente loslegen: Die "Ode an die Freude" hat sich als 100 Prozent Flashmob-tauglich erwiesen.

Geradezu frenetisch widmen sich die Japaner der Ode: Zu jedem Jahreswechsel treffen sie sich zu Tausenden, um gemeinsam "daiku" - wortwörtlich "Nummer Neun" - zu schmettern. Dieser Begeisterung zollen auch internationale Konzerne Tribut: Für seine neueste Werbekampagne hat das Unternehmen Google Japan jüngst 300 Smartphones mit Avataren programmiert: Sie piepsen, zirpen und quietschen Beethovens Götterfunken.

Was jetzt noch fehlt? Richtig: Die 3-D-Version! Vermutlich wird sie nicht lange auf sich warten lassen. Es muss sich nur jemand finden, der die Partitur aus der Staatsbibliothek zu Berlin in einen 3-D-Drucker legt. Die Chancen stehen gut, dass das Gerät Chor und Orchester ausspuckt, die einsetzen mit: "Freude, schöner Götterfunken" ...


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