Bayern 2

     

Nachtstudio Return to Gender

Dienstag, 14.11.2023
20:05 bis 21:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Return to Gender
Eine queere Pop-Geschichte
Von Jens Balzer
Diese Sendung hören Sie auch in der BR Radio App bei Bayern 2 und ist als Podcast verfügbar.

"One day I’ ll grow up, I'll be a beautiful girl / But for today I am a child, for today I am a boy", so singt es 2005 Anohni in "For Today I Am A Boy". Popmusik hat schon immer Menschen eine Stimme verliehen, die anders sein wollen, als man es von ihnen erwartet; die nach Befreiung suchen - gerade auch von den geschlechtlichen Normen der Mehrheitsgesellschaft. Schon in den 1920er-Jahren singt die "Mutter des Blues", Ma Rainey, von lesbischer Liebe; Mischa Spoliansky komponiert in Berlin die erste Schwulenhymne, das "Lila Lied". Doch der Zweite Weltkrieg beendet die kurze Zeit der sexuellen Emanzipation, in der Nachkriegszeit herrscht ein restauratives Klima. Bis in den Sechzigerjahren männliche Popstars damit beginnen, sich "weicher" und "weiblicher" zu inszenieren: Die Beatles lassen sich lange Haare wachsen, Mick Jagger tritt in Frauenkleidern auf, in den 70ern ist es David Bowie, der mit seiner androgynen Erscheinung viele junge Schwule zum Coming-Out ermutigt. Doch Männer wie Jagger und Bowie spielen nur mit der transgressiven Ästhetik, während "echte" Schwule wie Freddie Mercury noch in den Achtzigerjahren mit ihrem Coming-Out zögern. Wo verläuft die Grenze zwischen "echter" Emanzipation und der bloßen Ausbeutung von queerer Ästhetik? Wie verhält sich die Geschichte des transgressiven Pop zur politischen Emanzipation queerer Menschen? Es geht um Musikgeschichte, aber auch um die Geschichte von politischen und geschlechtlichen Selbstverständnissen und Biografien. Was taugt also die alte Utopie der Pop-Transgression noch in Zeiten, in denen das Transgressive selber zum Mainstream gehört?