Bayern 2 - Notizbuch


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Katarina Ebel, SOS-Kinderdörfer in Syrien "Kinder im Krieg brauchen vor allem Stabilität"

Die Lage in Syrien gibt auch im sechsten Kriegsjahr keinen Grund zum Optimismus. Waffenruhen halten nicht, auf Aleppo fallen weiter Bomben. Was kann eine Kinder-Hilfsorganisation unter solchen Bedingungen leisten? Ein Gespräch mit Katarina Ebel, Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer in Syrien.

Stand: 12.10.2016

Katarina Ebel, Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer in Syrien | Bild: picture-alliance/dpa

Notizbuch: Können Sie Ihre Arbeit in Zeiten eines eskalierenden Krieges überhaupt noch fortführen?

Katarina Ebel: Es ist machbar, aber es ist schwierig. Wir versuchen, sehr flexibel zu sein. Wir haben ein Nothilfeprogramm östlich von Aleppo, einen so genannten "Childfriendly Space", der relativ groß ist. Das ist ein geschützter Raum, wo Kinder spielen können, wo Psychologen sie beobachten. Wir haben Essensausgaben für Menschen, die aus Aleppo geflohen sind, wir verteilen Nahrungsmittelpakete und Hygienepakete. Wir kümmern uns um Säuglinge und Mütter, wir haben einen Arzt dort. Das ist alles möglich, allerdings nur mit einer hohen Risikobereitschaft des Teams. Dort gibt es Heckenschützen, die auch uns nicht aussparen. Wir hatten bislang Glück. Aber unser Teamleiter hat berichtet, dass jemand auf der Straße erschossen wurde, die sie benuzt haben. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Team.

Wenn man die Bilder in den Nachrichten sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass es nahe Aleppo Plätze gibt, wo Kinder spielen können.

Alltag im Ausnahmezustand: Kinder in Damaskus

Wir hatten direkt in Aleppo eine geschützte Zone und eine Übergangsunterkunft für Kinder, die wir aber schon im April räumen und evakuieren mussten. Die aktuelle Kinderschutz-Unterkunft befindet sich außerhalb Aleppos und ist halbwechs sicher. Das ist ein großer Raum - dort haben wir Betreuer, dort können Kinder singen und spielen oder einmal einen Film gucken. Sie bekommen eine Art Gesundheitsunterricht, werden zum Beispiel über Vitamine informiert. Eine Betreuerin sagte mir letztens: Wenn Bomben fallen und geschossen wird, gehen wir mir den Kindern auf den Fußboden und spielen. Dort sich sie vor Splittern geschützt. Dann singen wir mit ihnen, um den Sound der Kämpfe zu übertünchen, um sie einfach abzulenken.

Wie kommen die Kinder zu Ihnen?

Wenn wir von den "Childfriendly Spaces" und der Verteilung der Nahrungsmittel, dann sind es Kinder von Binnenflüchtlingen. Die anderen Kinder, die in Damaskus in den Kinderdörfern sind und in den Übergangsunterkünften, haben ihre Eltern verloren oder ihre Eltern sind gerade nicht auffindbar. Sie kommen über Sozialbehörden zu uns oder Nachbarn schicken sie.

Können Sie alle Kinder aufnehmen, die Ihres Schutzes bedüften?

Wir tun natürlich unser Bestes, jeden aufzunehmen, der kommt. Im Kinderdorf haben wir mittlerweile etwa 170 Kinder, in den Notunterkünften haben wir 230 Kinder und wir eröffnen ständig neue Unterkünfte. Auch wenn sich Aleppo beruhigt, wird es wieder Übergangsunterkünfte geben für Kinder, die als Folge dieser Kämpfe vorübergehend keine Familie haben.

Wie können Sie diesen Kindern konkret helfen?

Kinder, die gesehen haben, wie ihre Eltern gestorben sind, die gesehen haben, wie ihr zu Hause zerstört wurde, die mitten in der Nacht geflohen sind, haben es sehr schwer. Ihnen beizustehen ist nicht ganz einfach und braucht sehr viel Zeit. Unsere Psychologen versuchen, den Kindern ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben, ihnen ein zu Hause und Stabilität zurückzugeben - und das über eine konstant lange Zeit. Wenn wir zwischenzeitlich evakuieren müssen, werden die Kinder wieder aus ihrem zu Hause gerissen, erleben wieder Flucht und Gewalt.

Denken Sie manchmal, eigentlich wäre es am besten, all diese Kinder aus Syrien rauszubringen?

ich glaube nicht, dass das für diese Kinder unbedingt gut wäre. Diese Kinder brauchen Stabilität, sie brauchen Ruhe und vor allen Dingen Frieden. Sie brauchen Menschen, die sich liebevoll um sie kümmern können, aber Syrien ist trotzdem ihre Heimat. In Aleppo gibt es aktuell keinen Ort, der sicher ist. Dort möchte sicher niemand sein. Aber Damaskus und der Westen Syriens sind anders, dort kann man relativ ruhig leben. Was diese Kinder brauchen, ist Stabilität und ein Ort, der über längere Zeit ruhig bleibt. Das ist, glaube ich, das Wichtigste.


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