NSU-Prozess


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NSU-Prozess, 300. Verhandlungstag Verwirrung um Marcel D.: V-Mann oder nicht?

Wegen juristischer Fallstricke hat das Münchner Oberlandesgericht die Vernehmung von Marcel D. erneut abgebrochen. Dabei ging es um die Frage, ob D. Spitzel des Verfassungsschutzes war oder nicht - und ob er bei früheren Vernehmungen falsche Angaben machte.

Von: Thies Marsen

Stand: 20.07.2016 | Archiv

Marcel D. | Bild: picture-alliance/dpa

Schon die vergangenen Auftritte von Marcel D. im NSU-Prozess waren skurril, denn der Zeuge aus der Thüringer Neonaziszene beharrte darauf, kein Spitzel des Verfassungsschutzes zu sein, während der Verfassungsschutz seinerseits jedoch erklärte, D. sei durchaus V-Mann gewesen. Heute setzte der Zeuge noch eins drauf: Er nahm seine frühere Aussage zurück und erklärte gleichzeitig, gar keine Aussage mehr zu machen – was für einige Verwirrung im NSU-Prozess sorgte.

Ermittlungsverfahren eingeleitet

An der Verwirrung ist auch die Münchner Staatsanwaltschaft nicht ganz unschuldig, denn sie hat wegen der mutmaßlichen Falschaussage Marcel D.s über seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dies ruht derzeit, ist aber nicht eingestellt. Weshalb der Zeuge mit einer Verurteilung rechnen kann, und deshalb durchaus das Recht hat, die Aussage zu verweigern. Allerdings tat er das auf so merkwürdige Art und Weise, dass praktisch alle Prozessbeteiligten den Schluss ziehen mussten: Er hat seine ursprüngliche Aussage gar nicht wirklich revidiert.

Nach eingehenden Diskussionen im Saal A101 waren sich sowohl Verteidiger als auch Nebenkläger, Bundesanwaltschaft und Senat einig, dass das derzeitige Verhalten des Zeugen das schlechtmöglichste ist. Denn verweigert er jetzt die Aussage, ohne seine mutmaßliche Falschaussage zu revidieren, wird er aus dem Zeugenstand entlassen und eine anschließende Anklage wegen Falschaussage ist dann praktisch unvermeidlich. Dem könnte er nur entgehen, wenn er seine alte Aussage tatsächlich revidiert.

Antrag auf Entlassung des Zeugenbeistands

Einig war man sich auch darin, dass der Zeugenbeistand, den Marcel D. mitgebracht hatte, ihn sehr schlecht beraten hat. Verteidiger Olaf Klemke beantragte deshalb, dass der Zeugenbeistand entbunden werden müsse. Darüber wird nun außerhalb der Hauptverhandlung entschieden, der Zeuge wurde – erneut – vorläufig nach Haus geschickt, mit der Ankündigung: Sie werden wiederkommen müssen.

Anschließend folgten mehrere Erklärungen, Stellungnahmen und Beweisanträge. So erklärten mehrere Nebenkläger, dass die Aussagen des NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit vergangene Woche im NSU-Prozess absolut unglaubwürdig seien und davon auszugehen sei, dass Petereit für sein Neonazi-Fanzine "Weißer Wolf" durchaus Geldspenden vom NSU erhalten hat. Außerdem sei klar, dass Petereit und sein Umfeld seit dem Jahr 2002 von der Existenz eines Nationalsozialistischen Untergrunds informiert waren.

Beweise auf Wohllebens Festplatte?

Anschließend nahm die Bundesanwaltschaft zu mehreren Beweisanträgen der Verteidigung Wohlleben Stellung, die sie allesamt für unbegründet hält. Und Nebenkläger Reinicke reagierte mit einem Beweisantrag auf die Verlesung mehrerer Texte Ralph Wohllebens am gestrigen Verhandlungstag. Mit der Verlesung dieser Texte, die auf einer Festplatte Wohllebens gefunden worden waren, wollte seine Verteidigung beweisen, ihr Mandant sei gar nicht ausländerfeindlich gewesen. Reinicke beantragte nun, auch noch andere Dateien von der Festplatte in Augenschein zu nehmen – insbesondere unzählige Neonazi-Musik-Stücke, die durchsetzt sind von Ausländerhass, antisemitischer Hetze und Gewaltphantasien gegenüber Minderheiten. Diese ließen Rückschlüsse auf die wahre Gesinnung Ralph Wohllebens zu.


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