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Interview mit Wolfgang Ischinger "Einblicke in die geheime Welt"

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz kündigt sich eine Weltpremiere auf politischer Ebene an: Erstmals werden die obersten Geheimdienstchefs auf offener Bühne über ihre Rolle diskutieren. Doch das ist nur ein Teil der Strategie zur Krisenbewältigung der Veranstalter. Ein Interview von Clemens Verenkotte mit dem Vorsitzenden der Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger

Von: Clemens Verenkotte

Stand: 11.02.2016 | Archiv

Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan spricht am 08.02.2015 in München (Bayern) bei der 51. Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof. Vom 12.-14.02.2016 findet die 52. Münchner Sicherheitskonferenz statt.  | Bild: pa/dpa/Tobias Hase

Clemens Verenkotte: Herr Ischinger, schauen wir auf diese Sicherheitskonferenz 2016, die sich deutlich unterscheidet von den Vorjahren, vor allem deswegen, weil es um die Rolle Russlands geht: Was hat diese Sicherheitskonferenz im Gepäck, das Sie auspacken wollen?

Wolfgang Ischinger: Die Sicherheitskonferenz bietet an diesem Wochenende bei den leider zahlreicher und gefährlicher gewordenen Krisen, wie die dramatische Syrien-Krise, die Ukraine-Krise und andere Brandherde, die Gelegenheit, dass alle Beteiligten sich vergewissern, ob und welchen Ausweg es gibt. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist ja kein Beschlussorgan, sondern hier kann hinter verschlossener Tür zu zweit, hier kann im kleinen Kreis zu mehreren, hier kann auch auf offener Bühne öffentlich vom Rednerpult aus gesprochen werden.

Wir haben in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass die Münchner Sicherheitskonferenz tatsächlich einen Beitrag leisten konnte. Denken Sie nur daran, dass 2009 hier in München das neue Rüstungskontrollabkommen genannt 'New Start' zwischen USA und Russland aus der Taufe gehoben wurde. Genau drei Jahre später hier in München wurden die Konferenzurkunden ausgetauscht, der Vertrag ist damit in Kraft getreten. Also es ist gelegentlich schon möglich, dass diese Konferenz nicht nur Gespräche produziert, sondern tatsächlich auch Ergebnisse und das erhoffe ich mir angesichts der komplexen, blutigen Konflikte in diesem Jahr ganz besonders.

Clemens Verenkotte: Dieses Jahr wird es so sein, wenn man sich die Tagesordnung anschaut, dass es nicht nur direkte Panels gibt, z.B. zwischen dem saudischen und dem iranischen Außenminister, sondern auch der Geheimdienstchefs, die offen reden wollen. Ist das nicht ein bisschen ambitioniert?

Wolfgang Ischinger: Ich finde es wirklich ganz fabelhaft, dass es gelungen ist, etwas auf die Beine zu stellen in diesem Jahr, was in dieser Form noch nie passiert ist: Geheimdienstchefs, in diesem Fall der oberste amerikanische Geheimdienstchef und der wichtigste britische Geheimdienstchef setzen sich auf die Bühne.

Warum machen die das? Weil sie erklären wollen, welche Aufgaben die sogenannten Dienste bei der Terrorismusbekämpfung, bei der Kriminalitätsbekämpfung und bei anderen Konflikten haben. Die Dienste haben verstanden, dass es nach den Snowden-Geschichten, nach dem NSA-Skandal nicht nur hier in Europa, sondern auch in den USA selbst einen enormen Vertrauensverlust gegeben hat. Die Menschen machen sich Sorgen über ihre Daten.

Ich hoffe sehr, dass wir eine interessante und weiterführende Debatte darüber bekommen können, wie viel Zugriff auf Daten brauchen die Dienste, um uns, die Bevölkerung effektiv zu schützen, angesichts der nicht mehr zu leugnenden terroristischen Bedrohung, die inzwischen auch in Deutschland eine reale Bedrohung geworden ist. Wie viel Schutz und Privatheit der Daten kann der Bürger für sich beanspruchen, ohne die Arbeit der Dienste zu behindern? Das ist ein schwieriges Dilemma. Darüber mit den Diensten zum ersten Mal öffentlich zu diskutieren, finde ich gut. Ich glaube, das ist eine kluge PR-Strategie der Dienste, sich hier in die Öffentlichkeit zu begeben.

Clemens Verenkotte: Eine Frage zum Verhältnis der ehemaligen Supermächte USA und Russland: Man sieht in weiten Teilen der Welt – jedenfalls was den Nahen Osten angeht, aber auch was den Osten Europas angeht –  dass die Obama-Administration in ihrem letzten Amtsjahr ein Vakuum hinterlassen hat. Ein Vakuum, das von regionalen Mächten massiv ausgenutzt wird, von der Türkei, von Saudi-Arabien, vom Iran. Ist das ein Versäumnis, dass sich die US-Regierung in den vergangenen zwölf Monaten nur sehr – wie es so schön heißt – dilatorisch engagiert hat?

Wolfgang Ischinger: Zunächst einmal ist es ein heilsamer Weckruf an die Europäische Union, auch die Deutschen. Wir haben es uns in unserer ruhigen Nische jetzt viele Jahre gemütlich in dem Bewusstsein eingerichtet, wenn es ganz schlimm kommt, dann kommen schon die Amis. Die machen manchmal auch Unsinn, aber zumindest können sie abschrecken und können es uns ersparen, mehr Geld für militärische Dinge usw. auszugeben.

Ich fürchte, dass diese Zeit vorbei ist, weil die amerikanische Bevölkerung nach den unerfreulichen Erlebnissen im Irak und in Afghanistan auch nicht mehr bereit ist, grenzenlos Geld für militärische Fragen auszugeben. Deshalb hat Präsident Obama von Anfang seiner Amtszeit an gesagt, ich bringe die 'boys' nach Hause. Er will nicht mehr neue Expeditionen militärischer Art anfangen.

Das ist also ein Weckruf für die Europäer, wir müssen mehr tun. Mehr tun heißt nicht, nur mehr Geld ausgeben, sondern die Fähigkeiten zusammen legen. Wir haben im Bereich der Verteidigung in der Europäischen Union noch nicht das Prinzip der Integration richtig angefangen. Jeder hat seine eigene kleine Armee. Hier kann man durch Zusammenlegung viel Geld einsparen und größere Effizienz schaffen.

Der andere Punkt ist: Natürlich müssen wir unseren amerikanischen Partner daran erinnern, dass er als Weltmacht eine Verantwortung hat - egal, ob man sich ein bisschen mehr zurückziehen möchte oder nicht. Ich halte es angesichts der dramatischen Krisen insbesondere in Syrien nicht für vertretbar, dass es zwischen Präsident Obama und dem russischen Präsident Putin nicht ein intensives Krisenmanagement auf der obersten Ebene gibt. Ich glaube, das ist überfällig. So erfreulich es ist, dass Kerry und Lawrow reden, es sind beide auch nur, verzeihen Sie den scharfen Ausdruck, Befehlsempfänger. Hier müssen diejenigen miteinander reden, die die Befehle geben.

Clemens Verenkotte: Die Konflikte, die die Europäer und die Deutschen am meisten beschäftigen, sind  ja unverändert die, die hier zwei Jahre lang auf der Agenda waren. Die Ukraine und auch das Verhältnis der Europäischen Union zu Putin. Man hat durchaus den Eindruck, dass der Russischen Föderation daran liegt, im Zuge der Flüchtlingskrise die Europäer und den stärksten Pfeiler in der Union, Frau Merkel, unter Druck zu setzen.

Wolfgang Ischinger: Die Ukrainekrise ist ein Symptom einer ungelösten Grundfrage in der europäischen Architektur. Will die NATO weitere Erweiterungsschritte machen, so wie in den letzten Jahren angekündigt? Beharrt man darauf, Georgien oder die Ukraine eines Tages in die NATO aufzunehmen? Das ist genau das, was Russland verhindern möchte, weil es sich durch solche Schritte bedroht sehen würde. Hier bestehen Unsicherheiten. Russland hat durch das Eingreifen in Georgien 2008 Fakten geschaffen. Genauso durch das Eingreifen auf der Krim vor zwei Jahren.

Ich wünsche uns allen, dass es gelingt, das Minsker Abkommen zu einem Ende zu bringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man das Minsker Abkommen in perfekter Manier umsetzen kann und damit eine dauerhafte Stabilisierung hinkriegt, halte ich zur Zeit nicht für besonders groß. Ich glaube, wir werden auf kleiner Flamme, den Konflikt weiter haben.

Die wichtigste Aufgabe für uns Europäer ist, dafür zu sorgen, dass die Ukraine als ein Staat, der unter Korruption auf allen Ebenen gelitten hat, nicht einbricht. Dass sie als Staat wirtschaftlich, finanziell, politisch so gestärkt wird, dass sie wieder Wachstum erzeugen kann. Sonst erleben wir in unserer unmittelbaren Nachbarschaft eine weitere dramatische Katastrophe, möglicherweise auch wieder mit Flüchtlingen. Das ist zu verhindern.


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