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Unter unserem Himmel | 23.07.2023 Sommerwinde im Vinschgau

Im Vinschgau in Südtirol ist das Wechselspiel von Ober- und Unterwind allgegenwärtig: Die Winde trocknen Roggen, machen Gras innerhalb von zwei Tagen zu Heu und lassen Kitesurfer über den Reschensee fliegen.

Stand: 23.07.2023 | Archiv

Ein Film von Philipp J. Pamer

Die Bewohner des Vinschgaus unterscheiden zwischen dem Oberwind, der vom Reschenpass herabweht, und dem Unterwind, der sich bei Meran an der Töll aufbaut. Das tägliche Wechselspiel dieser Winde, die das ganze Tal durchstreifen und das Wetter beeinflussen, wird von den Vinschgern für ihre Zwecke genutzt, verlangt aber auch Anpassungen.  

Die schattige Seite des Vinschgaus wird Nördersberg, die sonnige Seite Sonnenberg genannt.

Die Cousins Martin und Christian Telser bauen wie schon ihre Vorfahren am Sonnenberg Roggen an, einen Windbestäuber, der neben viel Sonne zum Wachsen auch den Wind zum Trocknen braucht. Der Oberwind verhindert Schimmelbildung und begünstigt den Obstbau im Tal. Auf der Malser Haide verwandelt er frisch geschnittenes Gras innerhalb von zwei Tagen in trockenes Heu. Historische Heustadel mit speziellen Belüftungsschlitzen zeigen, dass die Bauern im Vinschgau diesen Trocknungseffekt schon vor Jahrhunderten zu nutzen wussten.

Seit einigen Jahren fliegen Wassersport-Drachen nahe dem alten Kirchturm von Graun, der aus dem künstlich angelegten Reschenstausee ragt. Die Lage zwischen einer Bergenge erzeugt am Reschensee einen Düseneffekt. Hier machen die Kitesurfer Kate Telser, Flavio Marx und Ivan Patscheider regelmäßig Jagd auf die besten Winde, die ihnen atemberaubende Sprünge und Manöver ermöglichen. Sie ziehen den oft föhnigen Oberwind dem Unterwind vor, der manchmal schlechtes Wetter bringt.

Oft schreibt Lorenz Kuntner Gedichte, inspiriert durch seine Naturfunde.

Das Wehen, Heulen und Pfeifen des Windes hinter den Stadtmauern von Glurns, den Gassen von Stilfs und den Obstwiesen an der Töll inspirieren auch Künstler wie Lorenz Kuntner, der sich selbst „Der-mit-dem-Windhauch-spricht“ nennt. Er sammelt Knochen und Flusssteine der Umgebung, aus denen er Windspiele und Skulpturen fertigt, die die bewegte Luft für ihn wieder zum Leben erweckt.

Windschiefe Bäume und steppenartige Vegetation prägen das Gesicht des Vinschgaus wie die vielen Herrgottskreuze und Kirchen. Da bei Trockenheit erhöhte Feuergefahr besteht und der Wind Brände mit großer Geschwindigkeit verbreiten kann, gibt es in fast jedem Dorf eine Freiwillige Feuerwehr. Die Kompanie des Dorfes Schleis im Obervinschgau veranstaltet jährlich am Todestag ihres Patrons St. Laurentius einen Kirchtag mit einer Prozession und Feierlichkeiten, bei denen auch der Wind jedes Mal eine Rolle spielt.


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