BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Menschen, Träume & Geschichten Klappe ab!

„Klappe ab!“ stellt drei spannende Künstler vor, die sich nicht nur der Gebärdensprach-Community, sondern einem großen Publikum präsentieren. Für den Traum, als Künstler auf der Bühne zu stehen, mussten sie besondere Wege bestreiten.

Stand: 17.04.2024

In der Vergangenheit haben sich taube Künstlerinnen und Künstler oft nur der eigenen Community präsentiert. Mittlerweile tun sie das auch nach draußen, vor großem Publikum. Eine Chance für beide Gemeinschaften. Ace Mahbaz stellt drei dieser Menschen vor.

OKAN SEESE

„Ich bin halb deutsch, halb Türke, aber ganz schwul. Und, na klar, ich bin taub.“ Und: Okan Seese ist Comedian. Sehen statt Hören begleitet ihn zu seinem 32. Auftritt – den hat er in München mit seinem Soloprogramm. Hier auf der Bühne erfüllt er sich seinen Traum: „Ich hatte schon von klein auf die Leidenschaft, auf der Bühne zu stehen oder im Fernsehen zu sein. Denn früher hat man niemanden mit einer Behinderung gesehen, was ich frustrierend fand. Deshalb wollte ich damals selbst gerne auf der Bühne stehen.“

Kunst im Blut

Und damit begann Okan schon früh: Er war beim Schultheater, hat später im Deutschen Gehörlosen-Theater mitgewirkt. Aber er hat auch Musik gemacht, war in der Poesie zuhause. Kunst ist Okans Ding. Dabei hat er auch einen „richtigen Beruf“ erlernt und ausgeübt: Er ist Gebärdensprachdozent. „Ich habe es damit versucht, aber ich merkte, ich schaff‘ das einfach nicht. Ich habe das Künstlerische im Blut.“

Der Wechsel zur Comedy ist für ihn ein echter Sprung ins kalte Wasser. Doch: Es läuft.

Eine Mission

Okan hat eine besondere Mission: Er macht Witze, um Bewusstsein zu schaffen. So spricht er beispielsweise über Taubblinde, „damit die Leute verstehen, dass es sie gibt“. Oder er witzelt darüber, dass viele Taube für dumm gehalten werden, bespricht, warum viele Redewendungen Hörender für Gehörlose keinen Sinn machen. Oder demonstriert auf humorige Art, wie eindeutiger und konkreter Gebärden im Gegensatz zum Lippenlesen funktionieren. Damit ihn bei seiner Show aber auch die Hörenden verstehen, ist Okan nicht allein auf der Bühne. Mit dabei ist eine „Voicerin“, die seine Gebärden übersetzt.

Und all das kommt an – auch bei seinem hörenden Publikum. Denn er arbeitet inklusiv. Obwohl sich auch in ihm festgesetzt hatte, dass man die beiden Welten nicht zusammenbringen kann.  „Dann habe ich doch versucht, das zu öffnen“, sagt er. „Daran habe ich lange gearbeitet und es klappt. Ich glaube, dass es jetzt gezündet hat und der Funke überspringt.“
                   

JAN KRESS

„O – die Show“, so nennt sich das derzeitige Stück von Jan Kress. Es ist für Kinder gemacht – und Jan ist dabei sowohl Autor als auch Regisseur und Choreograph. Doch hat er das Konzept nicht allein entwickelt: Kreativ mit dabei sind zwei hörende Personen.

Von der Nähmaschine auf die Bühne

Jan Kress steht auch als Schauspieler auf der Bühne – ein langgehegter Traum, den er sich erfüllen konnte, obwohl er lange außerhalb des Scheinwerferlichts tätig war. Acht Jahre lang hat er als Kostümschneider im Schauspielhaus in Frankfurt gearbeitet. „Ich sah immer wieder die Schauspielenden auf der Bühne. Ich kleidete sie mit den Kostümen ein. Dabei merkte ich, dass ich auch selbst auf der Bühne spielen will“, erinnert er sich. Erst als er viele Jahre später über Umwege Teil der Gehörlosen-Community wurde, fing er an, dort an den Theaterangeboten mitzuwirken.

Taube als Teil der Kunst

Dabei wurde ihm eines immer klarer: Taube Menschen müssen in der Kunst auftauchen – auch völlig unabhängig von hörendem Einfluss. „Hörende denken oft, dass sie es selbst in die Hand nehmen müssen und machen Veranstaltungen gebärdensprachlich, indem sie Dolmetschende dazu holen. So nicht, sondern auf Augenhöhe. Man sollte taube Menschen um Rat bitten, ihre Perspektive mit einbinden und sich austauschen, um so zusammenzuarbeiten“, fasst Jan seine Erfahrung zusammen. Besonders wichtig ist ihm, taube Menschen – auch Kinder - in seinen Stücken auftreten zu lassen. Denn das widerlege die Vorstellung vieler, dass es im künstlerischen Bereich keine tauben Menschen gibt. 

Traumziel übertroffen

Jan ist am Ziel seiner Träume. Er ist sogar noch einen Schritt weiter: „Früher träumte ich oft davon, irgendwann als Schauspieler auf der Bühne zu stehen. Und heute – meine Güte – bin ich nicht nur Schauspieler, sondern noch vieles mehr. Ich mache verschiedene Sachen. Das hätte ich früher niemals gedacht.“

HEARNS SEBUADO

Hearns Sebuado kommt aus London, ist Tänzer und derzeit in einer Hauptrolle  im Friedrichstadtpalast, in der Show „Falling in love“ - auf der größten Showbühne der Welt. Er spielt „You“, einen tauben Poeten. „Ich bin 2 Stunden und 10 Minuten in verschiedenen Szenen und mit verschiedenen Choreographien auf der Bühne, also 80 Prozent der gesamten Dauer der Show“, berichtet er. Dabei hat er eine große Gruppe um sich herum – groß und international: über 100 Künstlerinnen und Künstler aus 28 Ländern. Das Besondere: Hearns ist der erste taube Künstler auf der Bühne.

Kunst bringt Selbstvertrauen zurück

Hearns wurde auf den Philippinen hörend geboren. Seine Leidenschaft für das Tanzen entdeckte er, als er Tänzern auf der Straße zuschaute - Tanzen wurde sein Traum. Im Alter von 10 Jahren ertaubte er ganz plötzlich. „Am 30. Januar war der letzte Tag, an dem ich hören konnte. Am nächsten Morgen wachte ich auf und war auf beiden Ohren taub.“ 2001 zog Hearns noch London, wo sein Gehör noch einmal untersucht wurden. Der Grund für die Ertaubung konnte nicht festgestellt werden. Er bekam Hörgeräte und besuchte die Schule. Doch sein Selbstvertrauen hatte er vollkommen verloren. Zunächst. Zurück kam es mit der Kunst.

Erster Tanzstudent an der Uni

„An der High-School gab es einen Gebärden-Chor. Das war der Moment, als ich das erste Mal wieder Selbstvertrauen bekam. Ich fand meine Leidenschaft und war motiviert, wieder etwas zu performen.“ Hearns studierte Tanz, schloss mit einem „Second Class Degree“ ab. Damit war er Vorreiter. „Ich war der erste taube Tänzer, der einen Universitätsabschluss in Tanz und Performance machte. Es gab vorher niemanden.“ So veränderte er die Geschichte der Universität – und öffnete sie für andere gehörlose Menschen.

Traumziel: Film

„Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Leben so viel erreicht habe, obwohl ich erst 33 bin. Ich habe noch das Ziel, in einem Film mitzuspielen. Also Daumendrücken, dass es irgendwann klappt - vielleicht in New York. Das ist ein großer Traum.“


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