BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Unsere Zukunft Kinder und Gebärdensprache

Die Forderungen nach Gebärdensprache in der Bildung tauber Menschen sind inzwischen so vehement, dass sie keiner mehr ignorieren kann. Und dennoch scheint die Umsetzung immer noch in weiter Ferne zu sein. Aber vielleicht hat sich ja doch etwas getan in den letzten Jahren?! Sehen statt Hören hat eine Bestandsaufnahme gemacht.

Published at: 27-2-2024

Gleich vorweg: Es hat sich was getan. Vielleicht die wichtigste Veränderung in den letzten Jahren: Immer mehr Gehörlose fordern nicht nur, sondern nehmen selbst Einfluss auf die Entwicklung - als Lehrer, Forscher, Aktivisten.

"GebärdenVerstehen“ – eine Firma mit innovativen Ideen

Ein Beispiel für diese positive Entwicklung ist die Firma "GebärdenVerstehen“ in Heidelberg. Vor 18 Jahre setzte Jana Schwager mit zwei Leuten ihre Idee um, heute beschäftigt sie 27 Leute. Bei "GebärdenVerstehen“ werden u.a. Gebärdensprachdozent*innen ausgebildet – etwa 50 Personen konnten die Ausbildung bislang durchlaufen. Ein sehr wichtiges Feld, das Jana Schwager sehr am Herzen liegt. Aber es gibt durchaus noch Verbesserungsbedarf.

"[…] Der Bedarf ist riesig, es gibt zum Beispiel an Schulen eine große Nachfrage. Nur ist das Berufsbild „Gebärdensprachdozent“ bisher nicht gleichwertig zum Lehramtsabschluss anerkannt, deshalb gibt es hier noch gewisse Schwierigkeiten. In Gebärdensprachfirmen kann man aber Arbeit finden."

Marco Schwager, Gebärdensprachdozent

Vielseitig aufgestellt

Jana Schwager

Jana Schwager selbst hat vielfältige Abschlüsse: als Gebärdensprachdozentin, als Kursleiterin, als taube Gebärdensprachdolmetscherin und als Gebärdensprachpädagogin. Sie will immer auf dem neuesten Stand sein, kennt die neuesten Forschungsergebnisse und kann aufgrund ihrer pädagogischen Ausbildung sogar Kinder unterrichten. Dass Jana Schwager die Qualität von Bildung ein besonderes Anliegen ist, sieht man auch daran, dass ihre Firma die Weiterbildung zur Kommunikationsassistenz sowie zum pädagogischen Assistenten anbietet. In beiden Kursen wird Gebärdensprachkompetenz vermittelt. Aber bei der pädagogischen Assistenz kommt noch pädagogisches Wissen dazu. Und das braucht man beim Einsatz im Kindergarten oder als Schulbegleiter.

Bilingualität fördern

Das "BiBi"-Filmprojekt

Jana Schwager sprudelt vor Ideen und wird dafür von ihrem Kreativteam hochgeschätzt. Die Projekte, die bei "GebärdenVerstehen" umgesetzt werden, sind innovativ und immer am Puls der Zeit. Wie etwa das neue BiBi-Filmprojekt, wozu auch "WissenVisuell" gehört – wobei BiBi für "Bimodal-Bilingual" steht. In diesem Projekt werden Filme zu verschiedensten Themen erstellt - für Kinder im Grundschulalter, aber auch für deren Eltern. Das Ziel: Bilingualität fördern und Wissen in Gebärdensprache vermitteln. Ganz gleich bei welchem Thema. Wenn die Inhalte verstanden werden, fällt die Verknüpfung mit der Schriftsprache leichter. Als Jana Schwager bewusst wurde, dass es kaum Unterrichtsmaterial für gehörlose Kinder gibt, hat sie sich auch das zur Aufgabe gemacht.

"Jana und ich sind auf einer Wellenlänge. Wir haben gleiche Vorstellungen und verfolgen die gleichen Ziele. Wir spielen uns die Ideen gegenseitig zu und entwickeln daraus Projekte. Einfach toll! Sie hat einen weiten Horizont, sodass wir ständig auf neue Gedanken kommen. Sie ist sympathisch, tolerant, ein angenehmer Mensch. Einfach eine Traumchefin, wie man sie sich wünscht!"

Jürgen Endress, Produktionsleiter BiBi und Wissen visuell

Erfolg und Vorbild

Mit all dem ist Jana so erfolgreich, dass die Unternehmerin 2019 eine Zweitfirmensitz in ihrer alten Heimat Leipzig eröffnete. Gerade durch ihre mitreißende und innovative Art ist Jana Schwager ein absolutes Vorbild für viele.

"[…] mit Jana kann man sich gut über neue Ideen austauschen. Sie ist dafür offen und bereit, diese in die Projekte zu integrieren. Sie gibt gute Tipps. Und ist gerade als taube Frau ein echtes Vorbild für mich. Taube, weibliche Führungskräfte gibt es in Deutschland kaum! Sie hat so viel erreicht: Frühförderung für taube Kinder, die Verbesserung der Bildungssituation. Ich ziehe den Hut vor ihr und bin stolz, hier zu arbeiten."

Ramona Bota, Gebärdensprachdozentin

Ihren Antrieb hat Jana aus der Kindheit: Sie fühlte sich wie in einem Gefängnis mit ihrer Sprache, weil sie sich nicht ausdrücken konnte und die anderen sie nicht verstanden. Auf der Schwerhörigenschule, in die sie 1973 eingeschult wurde, galt sie als lernbehindert – was sie aber keinesfalls war. Als sie dann auf die Gehörlosenschule wechselte wurde ihr riesiges Potenzial klar.

Bildungskongress – diesmal online

"Kinder und Gebärdensprache – das ist unsere Zukunft" war auch das Motto des 4. Bildungskongresses. Dort haben die drei Länder Schweiz, Österreich und Deutschland verschiedene Projekte und Initiativen vorgestellt: Von der Frühförderung über Schule bis hin zu Studium und Medienbildung reichten die Themen. Eigentlich sollte der Kongress bereits 2020 in Landshut stattfinden, aber wegen Corona wurde er mehrfach verschoben und fand nun als reine Onlineveranstaltung statt. Eine Premiere für den Deutschen Gehörlosen-Bund. 550 Teilnehmer*innen waren dabei.

Auf Webseite nachlesen

Zwei Tage lang wurden Erfahrungen zwischen den Ländern ausgetauscht, Konzepte vorgestellt und verglichen, Vorträge gehalten. Als dringlichstes Thema in Deutschland im Bereich Bildung sieht Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosenbundes e.V., Bimodale-Bilinguale Konzepte – und zwar von der Frühförderung bis zur Berufsausbildung. Viele der Vorträge, die Ideen und Konzepte werden nun nach und nach auf der neuen Homepage "Bimodal-bilinguale Bildung mit Gebärdensprache (BBBGS)" unter https://bbbgs.net veröffentlicht.

"Einen Teil der Homepage wird der Bildungskongress einnehmen, wo wir alle Vorträge und Diskussionen veröffentlichen wollen. Außerdem sollen Bildungsprojekte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gesammelt und auf die Homepage gestellt werden. Die Erfahrungen aus den Best Practice-Beispielen können von jedem genutzt werden. Man muss das Rad ja nicht jedes Mal neu erfinden. Wir wollen ein Netzwerk schaffen, um uns auszutauschen und aktiv zu werden."

Helmut Vogel, Präsident DGB

Ergebnisse, Defizite und Vorhaben

Ein wichtiges Ergebnis des Kongresses: Der Standard-Unterricht ist in Deutschland linear – also mit Büchern und Heften. Unterrichtsmaterialien in und für Gebärdensprache gibt es aber nicht. „DeafDidaktik“ ist gefragt und Materialien für den praktischen Unterricht müssen entwickelt werden. Ebenfalls ein Defizit: Gebärdensprache gibt es noch immer nicht als Wahlpflichtfach an Schulen, so wie andere Fremdsprachen. Die Kultusminister sehen ein Problem darin, dass Gebärdensprache nicht überprüfbar ist, weil es dafür keine Schriftform gibt, die als Beleg dienen könnte. Lehrer Christian Borgwardt hat deswegen eine Alternative vorgestellt unter dem Begriff "Mediales Gebärden".

"[…] Ich muss einen Gebärdentext filmen und die Daten speichern, so dass ich sie zum Beispiel in einem Jahr wieder abrufen kann. Deshalb ist mediales Gebärden das Pendant zur Schriftsprache im Deutschen. […]"

Christian Borgwardt, Elbschule Hamburg

Einige Schritte weiter – aber noch nicht am Ziel

Bildung mit Gebärdensprache - ein Ziel, das noch nicht für alle in Reichweite liegt. Vielleicht braucht es noch mehr Bildungskongresse, Vorträge und Seminare, damit die Gesellschaft die Anliegen begreift und sie Wirklichkeit werden.

"Der Kampf um die Anerkennung der Gebärdensprache geht weiter, sowohl in gesetzlicher als auch in pädagogischer Hinsicht. Ja, es ist ein unheimlich langwieriger Prozess gewesen, der wohl auch damit zusammenhängt, dass die Mehrheit der Bevölkerung DGS noch immer nicht als Sprache begreift. Die Kultusministerkonferenz (KMK), wo ja Bildungspolitiker sitzen und keine Sprachwissenschaftler oder Linguisten, betrachtete DGS lange Zeit mit Argwohn, als ein Hilfsmittel für Gehörlose, also eine Sprache für Behinderte, die es nötig haben. Das war die Krux. Wir brauchten einen langen Atem und mussten erst mal viel Aufklärungsarbeit bei der KMK leisten, um einen Paradigmenwechsel anzustoßen. Die KMK hat dann auch verschiedene Schulen besucht, dort nachgefragt und sich informiert. Und wir haben solange alles erklärt bis die KMK uns verstanden hat und jetzt ein Prozess in Gang gekommen ist."

Christian Borgwardt, Elbschule Hamburg

 


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