BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Geschichte der Deutschen Gebärdensprache (4/6) "Unser Recht auf DGS"

Nach der sprachwissenschaftlichen Anerkennung war die gesellschaftliche und politische Anerkennung der DGS der nächste wichtige Schritt. Damals gab es heftigen Streit zwischen Befürwortern der DGS und Anhängern der LBG. Sehen statt Hören hat nicht nur immer wieder davon berichtet, sondern war auch ein Spiegel der damaligen Zeit: Am 18. April 1986 wurde im Deutschen Fernsehen erstmalig in DGS gebärdet. Ein Meilenstein.

Stand: 03.07.2020

Uli Hase betrachtete in der Rückschau 2014 dieses erste Mal eher als Kompromiss. Denn es war durchaus nicht so, dass er und Jürgen Stachlewitz diese Sendung vom 18. April 1986 selbstbewusst in Deutscher Gebärdensprache bestritten hatten:

"Ich musste ja LBG benutzen, damit die Hörenden und die Schwerhörigen auch zufrieden gestellt wurden. Und du hast Gebärdensprache benutzt. Das Konzept baute darauf auf, dass Du alles in Gebärdensprache bringst und ich sollte alle Inhalte sprechen und dazu begleitend gebärden. Nur so erhielten wir überhaupt das Einverständnis für die Umsetzung unserer Konzeptidee. Das war der Türöffner."

Uli Hase

Die beiden Freunde hatten darum lange gekämpft. Uli Hase erinnert sich daran gut: "Was waren wir sauer, weil es bei Sehen statt Hören keine Gebärden gab! Da wurde Mundbild mit ein bisschen LBG gezeigt, aber keine Spur von Gebärdensprache! Und wir haben immer wieder mit der Redaktion diskutiert, warum das so sein muss."

Das Ringen innerhalb der Redaktion und für die Sendung Sehen statt Hören war gewissermaßen ein Spiegelbild der Gehörlosenbewegung in Deutschland. 1989 gab es eine Sendung zu der Frage, ob Gehörlose das Recht auf eine eigenständige Sprachgemeinschaft haben. Jürgen Stachlewitz moderierte eine Diskussionsrunde mit Uli Hase, zu diesem Zeitpunkt neuer Präsident des Deutschen Gehörlosenbundes, mit den damaligen Vizepräsidenten Robert Brück und Käthe George, Gertrud Stock vom Landesverband Nordrhein-Westfalen, Alexander von Meyenn, 1989 Mitarbeiter im Zentrum für Deutsche Gebärdensprache an der Universität Hamburg, Peter Donath, zu diesem Zeitpunkt 1. Vorsitzende des Elternverbands Deutscher Gehörlosenschulen und Prof. Prillwitz, damals Leiter des Zentrums für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg.

Dass die Deutsche Gebärdensprache aus linguistischer, sprachwissenschaftlicher Sicht eine eigenständige vollwertige Sprache ist, bezeichnete Prof. Prillwitz als unstrittig. Er unterstrich, dass es um die gesellschaftliche und politische Anerkennung und auch die pädagogische Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache ging. So wurden unterschiedliche Bereiche angesprochen: Ob es die mühsam erlernten "oralen" Fähigkeiten zunichte machen könnte, wenn nun alle gebärden. Dass gehörlose Kinder von gebärdensprachkompetenten Lehrern unterrichtet werden sollten. Eine Anerkennung würde auch Dolmetscheransprüche klarer machen, war ein weiterer Punkt. Und außerdem, so Alexander von Meyenn: "soziale Vorteile wären z.B. auch bei Fernsehsendungen, dass wir mehr Untertitel und Gebärden bekommen im Informationsbereich."

Das Europäische Parlament hatte im Vorjahr, also 1988, die Gebärden in den EG-Ländern anerkannt. Nun wurde darüber diskutiert, ob die Bundesregierung die DGS als eigene Sprache offiziell anerkennen sollte. Der damalige Vertreter des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Behinderten, Herr Düsseldorf, hatte Jürgen Stachlewitz in einem Interview gesagt, dass er zwar die Sprache als notwendig für Gehörlose sieht, ebenfalls die Gebärdensprachdolmetscher, aber nicht glaubt, dass es einen Staatsakt für die Anerkennung braucht.

"Herr Stachlewitz, die Empfehlung an das Europäische Parlament ist mir bekannt. Ich glaube aber nicht, dass es einer besonderen Anerkennung durch einen Staatsakt, etwa durch ein Gesetz, oder durch einen Verwaltungsakt, bedarf. Notwendig ist die Gebärdensprache als Kommunikationsmittel der Gehörlosen – das steht außer jeder Frage. Ich denke hier insbesondere an Gehörlose im Studium, ich denke an Gehörlose in einer Konferenz-Situation, und an vielen anderen Plätzen ebenfalls. Es kann also gar nicht die Frage sein, ob Gebärdensprache, ja oder nein. Ich kenne diesen Meinungsstreit, der sich zwar vorwiegend innerhalb der Pädagogenschaft abspielt. Aber ich glaube, das, was das Europäische Parlament meint ist, dass die Gebärdensprache als Kommunikationsmittel anerkannt wird. Ich glaube aber nicht, dass da an einen besonderen staatlichen Akt gedacht ist."

Vertreter des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Behinderten, Ministerialrat Düsseldorf

Bekanntermaßen hat es nach dieser Aussage von Düsseldorf noch 14 Jahre gedauert, bis die Deutsche Gebärdensprache 2002 in Deutschland gesetzlich anerkannt wurde: im Behindertengleichstellungsgesetzes – BGG, im Paragraph 6, Absatz 1.


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