BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Vorhang auf! ... für gebärdensprachliches Theater

Das gebärdensprachliche Theater in Deutschland präsentiert in dieser Saison vielfältige Angebote: Für Kinder war in Stuttgart Premiere des inklusiven Stücks "Valentino Frosch", in Dortmund feierte die Krimikomödie "Killer Ladys" Premiere und in Berlin wurde Shakespeares Klassiker "Hamlet" neu aufgeführt. Ein buntes Jahr mit viel Engagement – nach schwierigen Zeiten mit viel Veränderung.

Stand: 27.07.2023

Im kommenden Jahr begeht das Deutsche Gehörlosentheater (DGT) ein besonderes Jubiläum: Es wird 75 Jahre – was für eine lange Zeit. Begonnen hat alles 1949 in Dortmund unter der Leitung eines Hörenden, Heinz Feuerbaum. Mittlerweile ist das DGT nach Berlin umgezogen, aber der Sohn des damaligen Gründers, Peter Feuerbaum, leitet in Dortmund inzwischen den "Gehörlosen Theater Verein". Er selbst ist mit dem Gehörlosentheater aufgewachsen. Sein Vater war darin 40 Jahre engagiert.

Weiter geht’s auch in Dortmund


"Er hat bis ungefähr 1995 das Deutsche Gehörlosentheater geleitet. Er hat dann irgendwann einfach aufgehört und ein Jahr später haben mich die Gehörlosen gefragt, ob ich bereit wäre, hier in Dortmund beim Gehörlosentheater Regie zu führen", erinnert sich Peter Feuerbaum. Seine Gruppe hat nun lange für das neue Stück „Killer Ladys“ geprobt. Bei der Generalprobe und der Premiere war Sehen statt Hören mit der Kamera dabei.

Wie kam das Deutsche Gehörlosentheater nach Berlin?

Das Deutsche Gehörlosentheater kam wegen Corona zum Stillstand: Wie an anderen Bühnen konnten auch hier keine Proben stattfinden, der Lockdown beförderte das DGT endgültig in eine Krise. Vor etwa einem Jahr stand dann der Vorstand allein da – ohne Team, aber mit den Projektmitteln für Hamlet, die von der Aktion Mensch bereits bewilligt waren.

Was tun? Nach längeren Überlegungen kam Elisabeth Kaufmann, der Vorsitzenden des DGT das Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen - kurz ZfK - in Berlin in den Sinn. Hier konnte das DGT angesiedelt werden und neu starten. "Berlin ist eine Hochburg in Sachen Kunst, Tauber Kunst, Schauspielerei. In Berlin ist all das verortet. Und das ZfK hat die Leute. Meine einzige Sorge war nur, ob das ZfK bereit ist, ein kaputtes Projekt zu übernehmen", erinnert sich Elisabeth Kaufmann. Sehr schwierig sei es anfangs trotzdem gewesen, sagt Christina Schönfeld, inzwischen 2. Vorsitzende des DGT. "Wir mussten vieles wieder ausbügeln." Doch der Erfolg belohnte alle Mühen: Mittlerweile sei das DGT wieder eine schöne, eine neue Herausforderung – mit guten Zukunftsperspektiven.

Hamlet in Berlin

In Berlin werden währenddessen beim DGT die Rollen verteilt, Kostüme besorgt und das Bühnenbild entworfen. Auf dem Programm steht „Hamlet“ – eine Herausforderung auf verschiedenen Ebenen. Schon allein den Text in die Gebärdensprache zu übertragen ist ein besonderes Vorhaben. "Es soll auf keinen Fall vereinfacht und plump wirken. Dieses Gefühl, die Sprache, das Abstrakte, wenn es um Liebe geht und das Werben darum. All diese Bedeutungen müssen in der Gebärdensprache auch zum Ausdruck kommen. Dessen müssen sich die Schauspielenden annehmen. So ist eben die Sprache von Shakespeare", erklärt Juho, der Regisseur.

Zusammen mit Eyk, der die künstlerische Leitung am Deutschen Gehörlosentheater hat, hat er diese Herausforderungen angenommen. Auf der Bühne werden junge Schauspielende genauso zum Einsatz kommen, wie diejenigen, die bereits Erfahrung haben. Wie sich bei der Premiere herausstellen soll: eine sehr gute Kombination. Sehen statt Hören hat im Zuschauerraum Platz genommen. 

Gehörlose spielen für Gehörlose?

Doch wie ist das nun im Gehörlosen-Theater? Sollten dabei möglichst ausschließlich gehörlose Personen für gehörlose Zuschauer spielen? Oder sollten sich taube und hörende Theaterleute mischen? Reicht es, wenn bei einer Theateraufführung Dolmetscher am Bühnenrand für die Gehörlosen übersetzen? Peter Feuerbaum hat dazu eine klare Meinung: "Wenn eine gehörlose Person da reingeht, kann sie nur zur Dolmetscherin schauen und alles mitbekommen. Die Gehörlosen wollen ja auch ein bisschen ihre eigene Kultur auf der Bühne sehen." Im Theaterbereich denken Hörende selten für die Gehörlosen mit, findet er. Deshalb wünscht sich Peter Feuerbaum mehr Gehörlosentheater, mehr gehörlose Personen, die für gehörlose Zuschauer spielen.

Bilinguales, inklusives Theater

Natürlich brauchen taube Zuschauende die Möglichkeit, sich mit den Schauspielenden auf der Bühne zu identifizieren. Trotzdem ist im Moment zu beobachten, dass immer mehr Hörende versuchen, gemeinsam mit tauben Menschen aufzutreten, um sich einem gemischten Publikum zu präsentieren. Ein Beispiel von vielen ist hierbei das Theater PiedDeFou aus Hildesheim. Sie touren mit dem Stück "Valentino Frosch" für taube und hörende Kinder durch unterschiedliche Theater. Dabei gibt es dann zwei Sprachen – die gesprochene und die Gebärdensprache.

So eine Mischung ist nicht nur einfach, wie Jason von PiedDeFou betont: "Für mich ist die Zusammenarbeit mit Hörenden eine viel größere und neue Herausforderung, weil alles viel länger dauert. Mit einem Team komplett aus Gehörlosen läuft alles wie am Schnürchen."

Angefangen hat das das bilinguale Theater anders – nämlich gebärdenunterstützend. Inspiriert war das durch die Schauspielerin und Theaterpädagogin Geli, die mit ihrer voranschreitenden Schwerhörigkeit vorausschauend begonnen hatte, Gebärdensprache zu lernen. Diese neue Erfahrung ließ sie dann auch in ihre Jobs einfließen: Sie verwirklichte einige Projekte mit gehörlosen Jugendlichen – und gründete schließlich ein eigenes Theater. "Erst haben wir Kindertheater gemacht für ganz kleine Kinder mit Musik und haben das mit Gebärden unterstützt. Genau so ging das dann immer weiter, bis wir jetzt wirklich zum bilingualen Kindertheater geworden sind und es auch versuchen mit gehörlosen Darstellern mit auf der Bühne", sagt sie. Der Grund: Gerade für Kinder sei eine Übersetzung des Stücks am Bühnenrand durch einen Dolmetscher überhaupt nicht machbar – denn gleichzeitig Bühne und Übersetzer im Blick zu haben, sei für die Kleinen sehr schwierig. Und so tritt die Theatergruppe nun eben bilingual auf – bedeutet: Alles was gebärdet wird, wird auch gesprochen. Vor allem für das hörende Publikum sei es ein Aha-Erlebnis gewesen, einen tauben Schauspieler zu sehen, erklärt Jason.

Zukunftsträume

Mit diesen drei Theaterprojekten sind schon einige Wünsche in Erfüllung gegangen - doch welche Träume haben die deutschen Gehörlosen-Theaterschaffenden noch für ihre Zukunft? Die Theater und die Szene sollten sich vergrößern und international aktiv werden zum Beispiel. Oder dass für Hörende taube Schauspielende keine Besonderheit mehr sein müssen – weil sie eben jeder kennt. Vielleicht könnte es eine spezielle Schauspielschule für Gehörlose geben und eine größere und inspirierende Zusammenarbeit der einzelnen Theater. Zusammengefasst: Dass es schlichtweg eine Zukunft gibt für die Gehörlosentheater. Und zwar eine rosige.


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