BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Frauen zwischen Küche, Kindern und Beruf Wie gleichberechtigt ist unsere Gesellschaft?

Millionen Frauen auf dieser Welt geht es gleich: Sie versuchen Haushalt, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Frauen sind hierzulande per Gesetz gleichberechtigt - aber wie sieht es tatsächlich aus? Wie hat sich das Rollenbild verändert über die Generationen hinweg? Das möchte „Sehen statt Hören“ herausfinden. In Gesprächen mit Frauen. Und Männern. Mit Jung und Alt. In Ost und West.

Stand: 23.02.2023

Gudrun Kneissl lebt auf dem Land in Bayern, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Aufgewachsen ist sie mit einem autoritären Vater und einer Mutter, die in der Ehe nichts zu sagen hatte.

Anke Klingemann im Gespräch mit Gudrun Kneissl

Als Gudrun dann selbst geheiratet hat und schwanger wurde, lebte auch sie das damals klassische Rollenbild: Sie blieb zuhause, kümmerte sich um Haus und Kinder während ihr Mann Augustin arbeiten ging und das Geld heimbrachte. So richtig anders war das für sie auch nicht vorstellbar - obwohl Gudrun einen Beruf erlernt und vier Jahre gearbeitet hatte. Ihre Töchter haben diesen Familienentwurf genossen: Die Mutter war immer daheim und hat sie umsorgt.

Der Zeitgeist der 50er-Jahre

Was der Nachwuchs als schön empfinden mag, kann man durchaus auch aus einer anderen Warte betrachten: In den 50er- und 60er-Jahren war die Frau die „Dienstleisterin“ des Mannes. So war der Zeitgeist damals - vor allem in Westdeutschland. Die Frau durfte weder arbeiten gehen noch einen Führerschein machen, ohne sich das Einverständnis des Mannes einzuholen. Auch ein eigenes Konto zu führen war ihr untersagt, sodass sie auch finanziell abhängig blieb.

Aufbruch in den 70ern

Erst 1977 wurde die „Hausfrauenehe“ aus dem Gesetz entfernt. Von da an war es Frauen möglich eine Arbeit aufzunehmen, wenn sie es wollten. Für den Haushalt waren nun nach Absprache beide verantwortlich. Doch in den Köpfen änderte sich so schnell nichts am Bild der Frau. Veränderungen und mehr Rechte mussten sich die Frauen hart erkämpfen.

In den 70er Jahren gab es eine starke Frauenbewegung - von deren Erfolgen profitierte auch Iris Rauch. Sie gehörte zu den ersten gehörlosen Frauen, die in den 90er Jahren studiert haben. Jetzt ist Iris Lehrerin und hat drei Kinder. Nicht der einfachste Weg, den sie da beschritten hat: Schon allein  Abitur zu machen, machte sie zur Exotin. Kindererziehung und Studium vereinen, das ging dann nur mit Hilfe ihrer Familie und sehr langen und anstrengenden Tagen. Ihr Mann musste sich ganz selbstverständlich an der Alltagsbewältigung beteiligen.

"[… ] Frauen besitzen genauso wie Männer viele Fähigkeiten und Fertigkeiten. Warum sollten Frauen darauf verzichten und sich ausschließlich auf die Kindererziehung und den Haushalt konzentrieren? […] Es ist wie eine zusätzliche Lebenswelt, zwischen der ich hin und her pendeln kann. Das ist schön...Ja, das ist mir sehr wichtig."

Iris Rauch

Und sie wurde zum Vorbild: Iris Kinder fanden es gut, eine berufstätige Mutter zu haben. Unabhängig war sie, was nach der Trennung vom Vater und als alleinerziehende Mutter extrem hilfreich war. Diese Stärke hat die Tochter geprägt.

"Zu wissen: ich kann alles allein bewältigen! Ich muss es nicht, aber ich habe die Fähigkeit und das Wissen dazu. Manche halten sich vielleicht für unselbstständig, sind angewiesen auf andere, weil sie sonst hilflos sind. Mir dagegen ist wichtig, die Kompetenz zu besitzen wie meine Mutter. Da bin ich wie sie."

Antonia Ricke

Männer als Feministen

Bekennende Feministen gibt es mittlerweile auch unter Männern: Benedikt Sequeira Gerardo ist Künstler, Firmengründer, Dolmetscher, Aktivist, lebt in Berlin – und steht für Gleichberechtigung ein. Und er lebt sie auch: Um am Familienleben aktiv teilzunehmen, hat er mit der Geburt seiner Kinder seine Arbeitszeit reduziert.  Doch so eine Einstellung ist längst nicht die Normalität. Denn Gleichberechtigung wird auch heute noch häufig nicht gelebt.

Der Mann als Maßstab

So ist in vielen Bereichen immer noch der Mann der Maßstab. Beispielsweise beim Auto: Die Sitzposition optimal einzustellen, kann für Frauen zum Problem werden – denn bei Tests und Messungen gilt noch immer der Mann mit seinem Körperbau als Maßstab. Das ist nicht nur unfair, sondern kann für Frauen sogar gefährlich sein, wie amerikanische Studien belegen. Danach sterben Frauen 18% häufiger bei Verkehrsunfällen als Männer. Oder in der Medizin: Die Dosierung von Medikamenten wird vor allem an Männern getestet. Allmählich findet im Forschungssektor ein Umdenken statt, dass bei Frauen und Männern gleichermaßen getestet werden müssen.

Im Osten alles anders

Ivana Neumann

Und wie sieht die Lage im Osten Deutschlands aus? Dort waren zu DDR-Zeiten 90 Prozent der Frauen berufstätig und somit finanziell unabhängig. Hier waren die Frauen die Exoten, die nicht zur Arbeit gingen, sondern als Hausfrau daheim geblieben sind. Hier war man viel offener, auch Frauen in typischen Männerberufen gab es. Ivana Neumann zum Beispiel ist ausgebildete Elektrotechnikerin. Erst nach dem Mauerfall fand sie keine Stelle mehr in ihrem Beruf. Aufgegeben hat sie nie, denn Hausfrau zu werden, das kam für sie nicht in Frage. Auch sie war Vorbild für ihre Kinder: Tochter Minna studiert an der TU Dresden Elektrotechnik. Dass im Hörsaal 99 Prozent Männer sitzen, bedauert sie zwar – aber benachteiligt hat sie sich nie gefühlt.
                                                          

"Ich will zeigen, dass ich als Frau das Gleiche leisten kann wie Männer. Noch dazu bewege ich mich als gehörlose Frau in einer hörenden Mehrheitsgesellschaft. Da ist meine Aufgabe, Lösungen anzubieten. Die meisten Frauen nehmen sich zurück, statt in den Vordergrund zu treten. Vielleicht aus Angst abgestempelt zu werden, ich weiß nicht? Wir sollten uns mehr zeigen."

Minna

Auch heute noch benachteiligt

Trotzdem sieht die Realität auch heute noch anders aus: Studien belegen, dass Mütter täglich zweieinhalb Stunden mehr als Väter arbeiten, weil noch immer hauptsächlich sie es sind, die sich um Kinder, Haushalt und Pflege kümmern - also unbezahlte „Sorgearbeit“ leisten. Vielleicht entscheidet sich auch deshalb die Hälfte der Frauen für einen Teilzeitjob, was sich auf ihre Karrierechancen, ihr Gehalt und die Rente auswirkt. Immerhin hat der Staat seine Verantwortung erkannt und ermöglicht eine Elternzeit für Mütter und Väter. Zudem sollen die Betreuungsmöglichkeiten erweitert werden, damit alle Kinder einen Platz bekommen. Aber genügt das schon? Vielleicht sollten wir Frauen einfach mal in den Streik treten …

Zahlen & Fakten:

Durchschnittlicher Stundenlohn:
Frauen 16,59 Euro
Männer 21,00 Euro

Durchschnittliche Nettorente:
Frauen 797 Euro
Männer 1.222 Euro

Anteil an Führungspositionen:
Frauen 30 Prozent
Männer 70 Prozent


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